272
Kreis Grafschaft Wernigerode.
Das künstlerisch durchgebildete Fachwerk tritt zuerst mit den Bauten
Thomas Hilleborchs (+ 1540) hervor, worüber wir nun nach den gründlichen
Urkundenforschungen von Jacobs gut unterrichtet sind (S. 200). Wir haben von
ihm das Schierstedtsche (jetzt Wag-) Haus, das Rathaus von 1498 und das
gotische Haus, letzteres nur in dürftiger Abbildung (S. 127) erkennbar. Thomas
tritt uns hier als Meister der klassischen Spätgotik entgegen, der die Vorkragungen,
die plastische Behandlung der Knaggen, die Erker und Dächer benutzt, um der
Hausfassade das lebendigste, schattenreichste Relief zu geben. Erfunden hat er
die Formen nicht, sondern offenbar von Halberstadt übertragen, wo sie schon
um 1460 fertig vorliegen. Von seinen späteren Bauten (bis 1518) ist uns nichts
erhalten. Der Sohn Simon (tätig 1523—49) scheint von der künstlerischen Ader
Abb. 188. Hinterhaus des gotischen Hauses
von 1540 (nach Döring).
des Vaters nichts geerbt zu haben. Am Neustädter Rathaus (1528) und am
Umbau des (nunmehrigen) Rathauses (1539—42) lenkte er in schlichte Zimmer-
mannsformen ein.
d) Die Renaissance mit ihren völlig umgearbeiteten Formen setzt ver-
einzelt mit dem Hofgebäude des gotischen Hauses schon 1540 ein. (Abb. 188.) Die
Knaggen sind zu Doppelkonsolen geworden, dazwischen doppelte Schiffskehlen;
Ständer und Fußbänder bilden Dreiecke, welche mit Fächerrosetten beschnitzt sind.
So wiederholt sich die Gliederung auf den nun sämtlich vernichteten Häusern der
oberen und unteren Marktstraße der 40er und 50er Jahre (S. 208, 209) und das
Hofgebäude des Thomas Schütze 1556 dürfte das letzte Beispiel sein. Etwas
reicher tritt uns eine Gruppe der 80er Jahre entgegen, wozu das Schäferhaus
1581, Haus Hauer 1583, der Wohnbau im Schloß in seiner ehemaligen Gestalt
und das Doppelhaus in der Schäferstraße (Abb. 114) gehören. Etwas anders ist
die Dekoration bei dem Glanzstück dieser Zeit, dem Gadenstedtschen Haus (S. 212)
von 1582, Füllungen aus Vollholz mit vielen Rosetten in Kerbschnittmanier.