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8. 88. Die Seminarien ressortiren von den Regierungen.
8. 89. An jedem Seminar wird jährlich mindestens einmal zur festgesetzten Zeit eine
Prüfung abgehalten, in welcher sowohl die Seminar-Abiturienten als alle diejenigen ihre
Befähigung nachzuweisen haben, die an öffentlichen oder Privat-Schulen den im 8. 3 bezeich—
neten Unterricht ertheilen wollen. Die Prüfung wird bei Zulassung von Mitgliedern von
Behörden, von Geistlichen und Lehrern unter dem Vorsitz eines Kommissarius derjenigen
Regierung abgehalten, von welcher das Seminar ressortirt.
8. 90. Ueber den Ausfall der Prüfung entscheidet eine Kommission, welche außer den
Kommissarien der Regierung und der betreffenden kirchlichen Behörde aus den ordentlichen
Lehrern des Seminars und zwei von der Regierung dazu berufenen Schulinspektoren besteht.
Bei Stimmengleichheit entscheidet der Regierungs-Kommissarius als Vorsitzender, und in Betreff
der Befähigung zur Ertheilung von Religionsunterricht der Kommissarius der kirchlichen Behörde.
8. 91. Wer die Prüfung bestanden hat, erhält ein Zeugniß, welches ihn zur Erthei—
lung von Privatunterricht, sowie zur provisorischen Anstellung an einer öffentlichen Volks—
schule befähigt.
8. 92. Der definitiven Anstellung muß eine zweite nach Maßgabe der 88. 89 und 90
stattfindende, sich vorzugsweise auf Erforschung der praktischen Befähigung erstreckende Prü—
fung vorausgehen, die frühestens zwei Jahre nach der ersten erfolgen und nur einmal in
zleicher Frist wiederholt werden kann.
8. 93. Ueber die Befähigung zur Ertheilung von Unterricht, welcher über die nächsten
Grenzen der Volksschule hinausgeht (8. 3), sowie zur Leitung von Schulanstalten, welche nicht
in den Bereich der höheren Unterrichts-Anstalten fallen, entscheidet eine in jedem Regierungs⸗
Bezirk jährlich auf Anordnung der Regierung zu bestimmten Zeiten abzuhaltende Prüfung.
8. 94. Die Prüfung der Lehrerinnen findet in der in den 88. 89 60. angegebenen
Weise statt.
8. 95. Die Erlaubniß zum Unterrichten in weiblichen Handarbeiten an öffentlichen
Schulen ertheilt in jedem einzelnen Falle auf Antrag des Schulvorstandes der Schul-Inspektor.
II. Unterricht der nicht vollsinnigen Kinder.
8. 96. Den bildungsfähigen Taubstummen und Blinden soll Gelegenheit zum Empfang
desjenigen Unterrichts geboten werden, der sie womöglich zum selbständigen Lebenserwerb be—
fähigt, jedenfalls aber ihnen die Grundlagen der religiösen, sittlichen und allgemeinen mensch—
lichen Bildung verschafft.
8. 97. Es sind zu diesem Zweck, soweit die vorhandenen milden Privat-Stiftungen
und die öffentlichen Volksschulen dazu nicht ausreichen, öffentliche Unterrichts- und Erziehungs—
Anstalten einzurichten.
8. 98. Die Mittel zur Errichtung und Unterhaltung dieser Anstalten werden nach Be—
schluß der Provinzial-Versammlung von den Provinzen aufgebracht, und werden die Anstalten
als Provinzial-Institute unter Oberaufsicht der Staatsbehörde verwaltet.
8. 99. Diese Anstalten sind, soweit es der Minister des Unterrichts für erforderlich
und zulässig erachtet, mit den Schullehrer-Seminarien in die Verbindung zu bringen, daß
die künftigen Schullehrer mit der Unterweisung von Taubstummen und Blinden vertraut ge⸗—
macht werden. Außerdem können auf Anordnung des Ministers an solchen Anstalten Ein—
richtungen getroffen werden, durch welche Schulamts-Kandidaten und Lehrer Gelegenheit er—
halten, sich mit der Ertheilung des betreffenden Unterrichts-Verfahrens bekannt zu machen.
8. 100. Kann an dem Wohnorte der Eltern der taubstummen und blinden Kinder
durch öffentliche Schulen oder Anstalten für ihren Unterricht gesorgt werden, so sind dieselben
in Bezug auf die Benutzung des letztern als schulpflichtig zu behandeln.
8. 101. Zur Besorgung dieses Unterrichts außerhalb des Wohnortes können Eltern
oder Vormünder zwangsweise nicht angehalten werden.