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Plenarverhandlungen
die neunklassige Gewerbeschule ist weit davon entfernt, ihren
Schülern auch nur einen Zipfel von klassischer Bildung bei—
zubringen. Sie wird die Realschule beseitigen und nur
das Gymnasium für klassische Bildung übrig lassen. Unter
diesen Umständen, meine Herren, kann ich daher dem Latein—
lernen oder Nichtlateinlernen auf der einen oder andern dieser
Schulen gar keinen Werth beilegen. Es handelt sich auf der
einen Seite um klassische Bildung, wobei die Fähigkeit, mathe—
matisch und naturwissenschaftlich zu operiren, nicht ausge—
schlossen ist, und auf der andern Seite um naturwissenschaft—
liche und mathematische Vorbildung für einseitiges Fachstudium,
wobei die klassische Bildung ausgeschlossen ist, und ich glaube
fragen zu dürfen: kann sich Jemand einen wissenschaftlich und
ftünstlerisch ausgebildeten Architekten denken, ohne daß er ge—
lernt hat und die Fähigkeit besitzt, die Ouellen, die großen
Werke, die großen Kunstwerke des klassischen Alterthums selbst
zu studiren, selbst zu verstehen?
Ich bitte Sie, meine Herren, nehmen Sie den Antrag des
Herrn Dr. Forchhammer an. Er will ja weiter nichts Anderes,
als die immer noch obschwebende und durch die Einrichtung
oon neun- und sechsklassigen Gewerbeschulen keineswegs ge—
löste Frage über die Zweckmäßigkeit, ja Nothwendigkeit der
klassischen Bildung für die Architekten einer nochmaligen und
weiteren Erwägung unterzogen wissen, einer nochmaligen und
weiteren Erwägung, wie ich voraussetze, in der Zwischenzeit
bis zu dem Zustandekommen des Unterrichtsgesetzes.
Präsident: Der Herr Regierungskommissar, Geheimer
Regierungsrath Dr. Wehrenpfennig hat das Wort.
Regierungskommissar, Geh. Regierungsrath Dr. Wehren⸗
pfennig: Meine Herren, ich hätte wohl gewünscht, daß
der Herr Vorredner, als er am Schluß seiner Rede be—
hauptete, es sei nicht möglich, daß ein Architekt ausgebildet
werde, ohne daß er die klassischen Werke lese, zugleich die
klassischen Werke im Griechischen und Lateinischen angeführt
hätte, aus denen ein moderner Architekt irgend etwas lernen
kann. Ich kenne solche Werke nicht. Aus dem Vitruv kann
der Ingenieur nichts lernen; aus dem Pausanias lernt der
Architekt nur die Topographie, wo die früheren Kunstwerke
gestanden, aber eine Anschauung von den Bauwerken und
Bildwerken des Alterthums kann kein Künstler aus irgend
einem Werke im Lateinischen oder Griechischen gewinnen; denn
olche Werke giebt es nicht. Vor wenigen Monaten ist hier
auf der Bauakademie eine Preisaufgabe gestellt, die mitten
hineinführt in das klassische Alterthum. Es wurde die Preis—
aufgabe gestellt, die Proppläen und was damit zusammen—