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Fünfundzwanzigstes Kapitel,
Meist werden heutzutage die auf dünnes Pflanzenpapier‘ ge-
schriebenen Nachrichten in Gummihülsen gesteckt, welche man an
den Füßen der Tauben befestigt. Man hat auch längere Aluminium-
behälter oder Federspulen angewandt, welche unter einer Schwung-
feder angebracht waren.!)
Auch ganze Photogramme befördert man mit ihnen, wenn es
sich darum handelt, z. B. aus einer belagerten Stadt über die feind-
lichen Stellungen zu fliegen und ein Bild der Batterien, Lage ‘der
Unterstände usw. den Belagerten zu übermitteln.
Versuche in dieser Richtung wurden schon im September 1889
von der Kaiserlich Technischen Gesellschaft in St. Petersburg an-
gestellt. Der Chef der Luftschiffer-Abteilung, Kowanko, stieg mit
einem Ingenieuroffizier und zwei Professoren auf und fertigte Photo-
gramme auf Häutchen nach dem nassen Verfahren an. Die Nega-
tive werden‘ im Ballonkorbe in einer primitiven Dunkelkammer ent-
wickelt, die Kollodiumhäute von der Glasplatte abgelöst und den
Tauben mitgegeben. Die Versuche sind befriedigend ausgefallen.
Die Herstellung der Negative in der Gondel ist aber sehr zeit-
raubend und umständlich; deshalb wird in neuester Zeit ein anderes
Verfahren angewendet, vermittels dessen die unentwickelten Negative
durch die Tiere transportiert werden. Mit Sorgfalt und in Ruhe er-
[olgt dann die Entwickelung des Bildes erst auf der Heimatstation.
Die Leistungsfähigkeit der Tauben in der Beförderung ziemlich
erheblicher Gewichte war sehr beachtenswert; sie vermochten 75 g
auf 100—150 km Entfernung zurückzutragen.
In Warschau hat man ferner Käfige für Ballontransporte ge-
baut, in denen 150—200 Tiere gleichzeitig aus einer belagerten
Festung herausgebracht werden sollen. Die kreisförmigen, aus
mehreren Segmenten zusammengesetzten Weidenkörbe sind am Ringe
befestigt; die Korbleinen müssen deshalb entsprechend länger ge-
macht werden, damit die Passagiere nicht gehindert werden.?) Die
Gondel ist ebenfalls breiter als die gewöhnliche.
Zum Schutze gegen die Sonnenstrahlung wurden die Käfige mit
hellem Wachstuch oder mit hochpoliertem Metallpapier bedeckt. Den
Transport haben die Tiere immer gut überstanden; durch das aus
dem Füllansatze während des Aufstieges ausströmende Gas hat ihr
Wohlbefinden nicht gelitten.
5 Auf den Brieftaubenausstellungen sind stets die verschiedenen Verfahren
zu sehen.
?*) Kriegstechnische Zeitschrift, 7. Jahrgang Heft 1. ; |