Die Lenkballons von 1898—1909.
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aller Gewalt gegen Bäume geschleudert. Die Hülle wurde dabei
vollständig zerstört, aber drei in der Gondel als Wache zurück-
gyelassene Soldaten hatten keine besonderen Verletzungen erlitten.
Zur sofortigen Ausführung der Reparaturen stellte der Kriegs-
minister den Gebrüdern Lebaudy in Toul Material, Räumlichkeiten
und Personal zur Verfügung.
Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit die Herstellung des
Ballons vor sich ging.
Eine Reitbahn des 39. Artillerieregiments wurde sofort als
Ballonwerkstatt eingerichtet.
Da eine Halle nicht so schnell errichtet werden konnte, wurde
noch eine zweite Reitbahn zur Verfügung gestellt. In dieser grub
man. den Boden in schräger Richtung so tief ab, daß der Ballon
mit seiner Gondel in dem gewonnenen Raume bequem Platz hatte.
Neben diesem improvisierten »Hangar« wurde die Gasanstalt
angelegt, das erforderliche Eisen und die Schwefelsäure, Wäscher,
Trockner usw. bereitgestellt.
Dank der gut ineinander greifenden fieberhaften Tätigkeit von
ca. 150 Personen konnte am 21. September, also nur 11 Wochen
nach dem Unfalle, mit der Füllung des wiederhergestellten und
noch verbesserten Fahrzeuges begonnen werden.
Am 8. Oktober begann die neue Reihe der Versuchsfahrten, die
durchweg außerordentlich befriedigten. Fernerhin wurden nun den
Luftschiffern bestimmte Aufgaben gestellt. Besonders interessant
waren hierbei die fernphotographischen Aufnahmen und die Ver-
suche, Sandsäcke im Gewichte eines Geschosses abzuwerfen.
Mit Hilfe des Ventilators, der in der Sekunde 1 cbm Luft in
die Luftkammern zu blasen vermochte, wurde der durch Abwerfen
von 20 kg Ballast bedingte Gewichtsverlust mit 18 cbm Luft schnell
wieder ersetzt und der Ballon so am Steigen gehindert.
Bei einer Reihe von Aufstiegen fuhren Generale, Adjutanten
höherer Stäbe und Luftschifferoffiziere mit; kein Zwischenfall er-
eignete sich trotz des häufig nicht gerade ruhigen Wetters.
Bei der 79. Fahrt wurde durch Abwerfen von 320 kg Ballast
in 1370 m Höhe — 1120 m über der Erde — gegangen und dann
dynamisch das Fahrzeug auf 1010 m gebracht.
Am 10. November wurde der Ballon außer Dienst gestellt und
verblieb nach einer wahrhaft glänzenden Kampagne in Toul in
Winterquartier.
Hildebrandt, Die Luftschiffahrt. 2. Aufl.