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Zwanzigstes Kapitel.
erfüllte seine Verpflichtungen und flog zeitweise über größere Strecken,
Jabei mehrfach auch halbe Wendungen ausfliegend. Leider erlitt
seine Maschine infolge des für den Januar ungewöhnlich stürmischen
Wetters mehrfach Havarie, so daß die Absicht, auch Kreisflüge
durchzuführen, nicht verwirklicht werden konnte.
Der Zweck der Vorführungen war erreicht. Man begann sich
lebhaft in Berlin für die Flugtechnik zu interessieren, und wenn
auch das durch die Zeitungsberichte aus Frankreich verwöhnte
Publikum höhere Erwartungen gehegt hatte, so ist es doch Tatsache,
daß seit jenem Januar auch in Deutschland sich die Flugtechnik
zahlreiche Freunde und Förderer erworben hat. Der Name von
August Scherl kann deshalb gerechterweise bei der Entwicklungs-
geschichte der deutschen Flugtechnik nicht übergangen werden.
Immer ausführlicher wurden nun die Zeitungsberichte über die
Erfolge der Franzosen, und der berühmte Flug Bleriots über den
Kanal überzeugte auch die fanatischsten Gegner, daß die Luftschiffe
»schwerer als die Luft« doch wohl mehr Aussichten für eine Ver-
wertbarkeit boten, als man glauben wollte.
In die Bewunderung über die Leistungen unserer westlichen
Nachbarn mischte sich aber ein kleines Gefühl des Neides, daß bei
ans auf diesem Gebiete so wenig getan wurde, und daß es uns nicht
vergönnt war, auch hervorragende Flüge zu sehen. Wieder war
as August Scherl, der helfend eingriff. Verfasser übernahm es
wiederum ehrenamtlich, einen der Brüder Wright zu Vorführungen
zu gewinnen und die Veranstaltungen zu organisieren. Bei den
Schwierigkeiten, solche völlig neuen, ohne Vorgang stehenden Sports-
lüge vorzubereiten und durchzuführen, standen auch diesmal dem
Verfasser Richard Scherl sowie Dr. Boysen, der schon bei Zipfel
:atkräftigst mitgeholfen hatte, hilfreich bei.
Ende August und Anfang September begann Orville Wright
seine Flüge, die wiederum eine oft über 100000 Personen zählende
Zuschauerschaft auf das Tempelhofer Feld lockten. Auch Ihre
Majestät die Kaiserin, der Kronprinz, die Kronprinzessin und die
Prinzen des Kaiserlichen Hauses wohnten den Flügen bei. Der
Kronprinz ließ sich sogar später von Wright durch die Lüfte führen.
Auch eine Dame nahm gelegentlich in der Flugmaschine an der
Seite Wrights zu einem längeren Fluge Platz.
Die Leistungen des Amerikaners mußten nun auch die‘ ver-
bissensten Skeptiker überzeugen, wenngleich auch immer noch der
Versuch gemacht wird, den Wert der Flieger herabzusetzen. Die