Full text: Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich (2. Band)

Geschichtlicher Rückblick. 87 
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;ozialen und schulpolitischen Nachteilen, die sie mit sich brachten, 
‚uf den Lehrbetrieb selbst einen beständigen Druck ausübten und die 
organische Entwicklung des Unterrichts hemmten. Einerseits konnten 
lie Realgymnasien mit Recht darüber Klage führen, daß sie infolge 
jener Bevorrechtigung des humanistischen Gymnasiums ihre Schüler 
fast ausschließlich aus den mittleren und unteren Schichten des 
Bürgertums erhielten; diese Einseitigkeit der Zusammensetzung mußte 
auf das Niveau des Unterrichts drücken und eine freie Entwicklung 
zu höheren Zielen hemmen. Die humanistischen Gymnasien ander- 
seits litten infolge ihrer Vorrechte an einer Überfüllung mit Schülern, 
die begreiflicher Weise in die privilegierten Anstalten hereindrängten 
and hier besonders auf der Oberstufe durch ihre Menge gleichfalls 
einen gedeihlichen Unterricht erschwerten und hinderten, während 
die oberen Klassen der Realanstalten leer blieben. Allmählich konnten 
sich doch auch die Verfechter der humanistischen Bildung der Tat- 
sache nicht verschließen, daß die Gymnasien eben deshalb ihre Eigenart, 
den klassischen Geist, eingebüßt hatten, weil sie zu allen möglichen 
Berufen vorbereiten sollten. Mit Recht, wenn auch erfolglos, hatte 
Paulsen auf der Dezemberkonferenz seine Stimme für die Berechtigung 
Jjes Realgymnasiums erhoben: „Für das alte Gymnasium wäre es ein 
großer Gewinn, wenn es durch das neue Gymnasium entlastet würde, 
entlastet in doppelter Hinsicht: erstens von dem Übermaß von Schülern, 
an dem es jetzt leidet. Es gibt in Berlin Ober-Sekunden, die mehr 
als 50 Schüler haben; wenn sie die Hälfte dieser Schüler abzugeben 
'mstande wären an die Realgymnasien, so wäre das für sie ein großer 
Gewinn. Ich habe es nie begreifen können, wie die Gymnasien gegen 
die Zulassung der anderen Form der gelehrten Schule sich so sträuben 
<önnen. Andererseits wären die Gymnasien dann imstande, auch 
hren Lehrplan zu entlasten; sie könnten nun das, worin sie ihre 
Stärke haben, mehr pflegen; sie könnten, indem sie den, der das 
uicht braucht, nicht will oder nicht kann, an die andere Schule ab- 
zeben, entschiedener wieder die klassischen Studien zum Mittelpunkte 
machen und dadurch die Vorbedingungen für das tiefere Erfassen der 
letzten großen geschichtlichen Zusammenhänge unseres geistigen 
"Lebens gründlicher betreiben.‘ *) Allmählich mußte diese Wahrheit 
auch den orthodoxen Verteidigern des alten Gymnasiums aufgehen, 
and so kam es, daß im Frühjahr 1900 die Generalversammlung des 
*) Verhandlungen über Fragen des höheren Schulunterrichts 4.—17. Dezember 1890. 
Berlin 1891. Seite 741.
	        
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