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Das Mädchenschulwesen.
sie im 12. und 13. Jahrhundert eher sank als stieg, trug das Auf-
streben eines neuen gesellschaftlichen Standes neue und zwar welt-
liche Elemente in die Frauenbildung hinein. Die eigentümliche
Stellung, die die Frau einnahm, als der Ritterstand der eigentliche
Kulturträger der Zeit wurde, ergab neue Anforderungen für ihre
Bildung. Die Frauen, die das höfische Ideal des gesellschaftlichen
Verkehrs zu pflegen und zu verkörpern hatten, mußten nicht nur
sine besondere Gewandtheit in den Formen vornehmer Lebensführung,
sondern auch eine Kenntnis der dichterischen Vorbilder gewinnen, in
denen sich dieses Ideal darstellte. So ist zunächst Lesen und
Schreiben unter den Frauen der höfischen Kreise weiter verbreitet
als unter den Männern, und als Lesestoff‘ treten neben den Psalter
und die heiligen Schriften mehr und mehr die Erzeugnisse der höfi-
schen Dichtung; modern ausgedrückt heißt das, daß die deutsche und
die französische Literatur in das Mädchenbildungswesen aufgenommen
wurden. Zeugnisse für die Belesenheit und die geistige Bildung der
Ritterfrauen finden sich in der Literatur der Zeit häufig genug.
Thomasin von Zirklaere!) nennt eine ganze Bibliothek, aus der Frauen
höfische Sitte lernen sollten; in den Dichtungen von Flore und
Blancheflure, von Tristan und Isolde?) werden die fabelhaften ge-
lehrten und künstlerischen Fertigkeiten der idealen Ritterfrau in den
hellsten Farben gepriesen. Für die Frauen sangen die Dichter; für
den Zuschnitt des geistigen und gesellschaftlichen Lebens gab ihr
Empfinden und ihr Geschmack Maß und Richtung. In der moräliteit,
der Kunst, die vornehmen Formen des geselligen Verkehrs taktvoll
anzuwenden, wurden die Mädchen zuweilen von einer „Zuchtmeisterin‘“
oder auch wohl von einem fahrenden Spielmann, der nicht selten ein
Franzose war, unterwiesen; dazu gehörte auch die Fertigkeit im
Tanzen, Singen, Saitenspiel und in den beliebten Brettspielen des
Mittelalters.?) In weiblichen Nadelarbeiten brachte es die Frauen-
kemenate zu der hohen technischen und künstlerischen Fertigkeit,
die wir an so vielen erhaltenen Teppichen und Bildwirkereien des
Mittelalters bewundern.
Mit dem Verfall des Rittertums verändert sich der gesamte
Charakter der Frauenbildung. Ein anderer Stand tritt an die Spitze
der materiellen und geistigen Kultur und stellt an die Frauen andere
Ansprüche. Die verschiedensten Umstände wirken zusammen, um
3) Thomasin v. 1029-—1040.
2) Tristan v. 7988 ff., 8058 ff., 8141 ff.
3 Weinholda. a. O0. I. S. 103 — Spechta. a. O. S. 991.