Full text: Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich (2. Band)

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Der gegenwärtige Stand des Mädchenschulwesens in Deutschland. 313 
weisen, ferner die Rücksicht auf die körperliche Entwicklung der 
Mädchen, an deren Kräfte, wie hervorgehoben wurde, ein durch 
aeun Jahre ununterbrochen fortgesetzter Schulbesuch schon ganz 
genügend starke Anforderungen stelle. Der ausschlaggebende Grund 
war aber die Überzeugung, daß die Mehrzahl der Mädchen nach 
neunjährigem Schulbesuch das Bedürfnis empfinden müsse, ihre 
Fortbildung freier und selbständiger zu suchen, als .es bei einer 
weiterhin streng schulmäßig verfahrenden Unterrichtsweise möglich 
sei, Es wurde deshalb vorausgesetzt, daß auf diesen neunjährigen 
Lehrgang je nach Bedürfnis sich wahlfreie Kurse aufbauen sollten, 
ım den Mädchen Gelegenheit zu geben, in den Lehrgegenständen 
weiter zu lernen, denen sie eine ausgesprochene Neigung oder Be- 
ähigung entgegenbrachten. Als Gegenstände dieser Kurse wurden 
vor allem Geschichte, Literaturgeschichte, Kunstgeschichte, fremde 
Sprachen und Naturwissenschaften empfohlen. Die Ausgestaltung 
der Kurse sollte sich nach Ansicht des Ministers auch noch in anderer 
Richtung den vorhandenen Bedürfnissen anpassen. Es wurde an- 
erkannt, daß für eine Reihe neu erschlossener weiblicher Berufe die 
Bildung einer neunstufigen höheren Mädchenschule nicht zureiche, 
ınd man meinte, die wahlfreien Kurse könnten es übernehmen, an 
den Bildungsgang der höheren Mädchenschule eine Art vorbereiten- 
der Fachbildung für die später zu suchende strenge Berufsbildung zu 
schließen. In dieser Hinsicht ist freilich in der Praxis wohl nur die 
Lehrerinnenbildung bei der Einrichtung von Selekten oder wahl- 
reien Kursen ins Auge gefaßt. 
Der Typus eines Lehrplans für eine solche Selekta (Höhere 
Töchterschule I Hannover) wird hier zur Veranschaulichung wieder- 
zegeben. — Es ist den Schülerinnen mit gewissen Beschränkungen 
gestattet, nur einzelne Fächer mitzunehmen. — 
Lehrplan der Selekta. 
Deutsch: Überblick über die deutsche Literatur bis auf die neueste Zeit mit be- 
ionderer Berücksichtigung der beiden Blütezeiten. Wiederholung wichtiger Kapitel 
aus der deutschen Grammatik. Aufsätze, Briefe und Stilübungen. 4 Std. 
Französisch: Grammatik: Wiederholung des Regelschatzes im Anschluß an Kühn, 
<leine französische Schulgrammatik, Alle 14 Tage eine Reinschrift (Diktate, freie Arbeiten, 
Briefe, Übersetzungen). — Lektüre: Dosia von Greville (Schulausgabe), Le verre d’eau 
‚on Scribe. Im Anschluß daran Sprechübungen. Richtige Aussprache und sprachliche 
Zewandtheit wurden erstrebt. — Literatur: Allgemeiner Überblick über die Entwicklung 
ler Literatur von den Anfängen bis zur Neuzeit. 5 Std. 
Englisch: Sommer: Wiederholung der Formenlehre. Schriftliche Arbeiten: 
Diktate, Übersetzungen, freie Arbeiten im Anschluß an Gelesenes. Lektüre aus Ebener- 
Morgenstern III, Erzählungen und Gedichte, im Anschluß daran literaturgeschichtliche
	        
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