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Das Mädchenschulwesen.
Außer in diesen eigens für Mädchen geschaffenen gymnasialen
Anstalten bietet sich ihnen in Baden und Württemberg noch eine
andere Gelegenheit zur Vorbereitung auf das Universitätsstudium:
vereinzelt sind ihnen die höheren Lehranstalten der Knaben er-
schlossen worden. Zum Teil sind das nicht-voll-entwickelte Schulen
in kleinen Orten, wo, wie bei den hessischen höheren Bürgerschulen,
man aus Sparsamkeitsrücksichten keine Trennung der Geschlechter
eintreten ließ. Nach einer Erhebung von 1902 nahmen z. B. Mäd-
chen in Baden am Unterricht der Knaben in 7 Realschulen und 8
höheren Bürgerschulen teil, aber man kann das kaum als einen Sieg
des Prinzips der gemeinsamen Erziehung auf dem Gebiete des
höheren Unterrichtswesens betrachten. Auch in Württemberg wird
man die Tatsache, daß im Schuljahr 1902/3 am Unterricht der „Ge-
‚ehrtenschulen“ im ganzen 74, an dem der „realistischen Schulen“ im
zanzen 184 Mädchen teilnahmen, nicht in diesem Sinne auffassen
Jürfen. Die Mädchen werden hier als „außerordentliche“ Schüler
geführt, sind bei den Gelehrtenschulen nur in Mittel- und Unter-
xlassen vertreten und wohl gleich den anderen „außerordentlichen‘“
vom Latein dispensiert. Eine prinzipielle Bedeutung aber hat die
Zulassung der Mädchen als Vollschülerinnen zu einzelnen badischen
Gymnasien, die in den letzten Jahren erfolgt ist. Hier handelt es
sich tatsächlich um einen Versuch mit der Koedukation, der nach
den Berichten der Direktoren der betreffenden Anstalten bis jetzt
überall, wo er gemacht ist, zu gelingen scheint. Der Erfolg ist um
so bedeutsamer, da die Schülerinnen nicht nur in Unter- und Mittel-
klassen, sondern auch in verschiedenen Klassen der Oberstufe auf-
zenommen waren. So ist vielleicht mit diesen bis jetzt ganz ver-
ainzelten Gästen in den Knabenschulen ein Weg beschritten, der für
die Lösung der Frage der höheren Frauenbildung in weiterem Um-
ang neue Möglichkeiten erschließen wird.