92 Grundzüge der Verfassung des höheren Schulwesens in Deutschland.
und sonst in Deutschland allgemein der Grundsatz, daß die Reife zu
versagen ist, wenn ein nicht durch mindestens gute Leistungen in
einem anderen Fach ausgeglichenes „Nicht genügend“ zurückbleibt.
Am schwierigsten in der Zulassung eines Ausgleiches zeigt sich
Sachsen, das über ein einzelnes Fach hierbei nicht hinaus-
geht. Württemberg ist bei einem „Ungenügend“ als Gesamturteil
im Latein unerbittlich. In Bayern und Sachsen hat es sein Bewenden
bei der nach der Dezemberkonferenz von 1890 im größten Teil
Deutschlands zur Geltung gelangten Bestimmung behalten, daß un-
genügende Gesamtleistungen im Deutschen unausgleichbar sind.
In der Gestattung zweimaliger Wiederholung der Prüfung gehen
Preußen und Württemberg, einer nur einmaligen Bayern und Sachsen
zusammen. ‚,
Auf die Reformschulen finden die Ordnungen der Reifeprüfung
für Gymnasien und Realgymnasien Anwendung, ohne daß für sie
Sonderbestimmungen hinzugekommen wären. Nach einer Zusammen-
stellung für den 1. Juni 1902 gab es damals in Deutschland 50 Re-
formschulen, 10 Altonaer und 40 Frankfurter Systems. Noch keine
waren vorhanden in Bayern, Württemberg, Elsaß-Lothringen, Hessen,
den preußischen Provinzen Posen und Ostpreußen; Westpreußen war
durch Danzig, Pommern durch Swinemünde, Schlesien durch Breslau
und Görlitz, Brandenburg durch die Vororte Berlins vertreten; die
meisten entfallen auf die sächsisch-thüringischen, die niedersächsischen
und die rheinischen Lande. Die Zahl der Reformschulen ist seitdem
noch im weiteren Steigen begriffen.
An Nichtvollanstalten, höheren Schulen mit weniger als neun
Jahrgängen von unten auf, besitzt Preußen Progymnasien, Realpro-
gzymnasien und Realschulen, Sachsen Progymnasien, Lateinschulen und
Realschulen, Württemberg Lyzeen, Reallyzeen, Latein- und Real-
schulen, Bayern Progymnasien, Latein- und Realschulen, usw. Nicht
alle von diesen Schulen haben wie die preußischen sechs Jahrgänge,
einige deren mehr, viele weniger. Die Lehrziele weichen im einzelnen
mannigfach von einander ab, eine gemeinsame Norm. geben ihnen
aber die Anforderungen, welche die der deutschen Wehrordnung ange-
schlossene Prüfungsordnung zum einjährig-freiwilligen Dienst
stellt. Gegenstände der Prüfung: Die zur Prüfung Zugelassenen werden
in Sprachen und in Wissenschaften geprüft. Die sprachliche Prüfung
erstreckt sich neben der deutschen auf zwei fremde Sprachen, wobei
den Examinanden die Wahl gelassen wird zwischen dem Lateinischen,
Griechischen, Französischen und Englischen. Die wissenschaftliche