Full text: Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich (2. Band)

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Geschichtlicher Rückblick. 69 
Zunächst rückt der Neuhumanismus an Stelle der einseitig sprach- 
jichen und rhetorischen Gesichtspunkte die ethischen und ästhetischen 
Werte des klassischen Altertums in den Mittelpunkt des Unterrichts 
und der gymnasialen Erziehung. Das Erlernen der alten Sprachen 
war ihm nicht mehr das letzte Ziel, sondern nur noch das vornehmste 
Mittel zum Zweck, und als solcher erschien die Einführung in den Geist 
des klassischen Altertums. Dieser Geist, wie er in der Gesinnung, 
den Taten, in der Lebensweise, den künstlerischen und literarischen 
Schöpfungen der alten Völker zum Ausdruck kommt, erschien den 
Vertretern des Klassizismus als der absolute Höhepunkt aller mensch- 
licher Geisteskultur; daher mußte nach ihrer Ansicht hier eine 
ainzige, nirgends sonst erreichbare Quelle für Belehrung und Erziehung 
antspringen. Das Ideal der Jugendbildung unserer Klassiker war ein 
‘eies und reines Menschentum, Humanität im umfassendsten Sinne 
des Wortes, die universelle Ausbildung der menschlichen Geistes- und 
Charakteranlagen; und dies Ideal glaubten sie im antiken Menschen, 
‚or allem im hellenischen Volke verkörpert. Daher war die Antike 
lie natürliche und zugleich unentbehrliche Führerin und Erzieherin, 
Jie einzige, die zu wahrer Humanität leiten konnte. Denn die Be- 
:onung des Griechentums war ein besonders charakteristischer Zug 
jes deutschen Klassizismus im Gegensatz zu der Kunst und Kultur 
Jer romanischen Völker, die sich bei weitem mehr an die Römer 
angeschlossen hatten. 
Daher ist denn das erste und entscheidendste Kennzeichen des 
jeuhumanistischen Gymnasiums das starke Hervortreten des Giiechi- 
schen neben dem Lateinischen. Soweit die alte Lateinschule griechi- 
schen Unterricht eingeführt hatte, war er wesentlich auf die Lektüre 
des neuen Testaments gerichtet und als Vorbereitung für das theo- 
logische Studium gedacht; fast nur der Homer hatte daneben hier 
and dort eine Stelle gefunden. Auch äußerlich war die Stundenzahl 
dementsprechend beschränkt geblieben. Nunmehr trat nahezu die 
zesamte Reihe der klassischen Dichter und viele Prosaiker in den 
Lehrplan ein; ausgeschlossen blieben fast nur diejenigen, die ihrem 
[nhalt nach für die Schullektüre unmöglich waren, wie Aristophanes und 
ein Teil der Lyriker, und entsprechend der erweiterten Aufgabe wurde 
auf dem neuen Gymnasium die Stundenzahl für das Griechische so 
vermehrt, daß es schon äußerlich als zweites Hauptfach neben dem 
Lateinischen hervortrat. Der Kreis der lateinischen Lektüre hingegen 
wurde keineswegs in gleicher Weise vergrößert, es wurden im Gegenteil 
aus dem ohnehin beschränkteren Gebiete noch Autoren ausgeschieden,
	        
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