Full text: Die höheren Lehranstalten und das Mädchenschulwesen im Deutschen Reich (2. Band)

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mehr erstarkenden neuen Mächten und ihren Ansprüchen, jene Auf- 
zaben nicht mehr mit der ursprünglichen Ausschließlichkeit im Auge 
behalten. Je unerläßlicher es sich erwies, der Bedeutung der exakten 
Wissenschaften Rechnung zu tragen, je entschiedener sich das Be- 
dürfnis fühlbar machte, auch die Sprache und die Literatur, wenigstens 
eines modernen Volkes, mit in den Lehrplan hineinzuziehen, desto 
mehr geriet die innere Einheit des humanistischen Gymnasiums ins 
Wanken und sein Lehrplan näherte sich unfreiwillig, aber Schritt für 
Schritt dem der Realanstalten. Es wurde laut und heftig um die 
Stundenzahl gestritten, die den Nebenfächern einzuräumen seien, und 
doch war dies nur etwas Äußerliches und stand in zweiter Linie. 
Wichtiger war, daß das Interesse der Schüler, zum Teil auch das 
der Lehrer, daß die Kraft und die Zeit, welche häusliche Arbeiten 
und Privatstudien in Anspruch nahmen, in immer steigendem Maße 
den alten Sprachen verloren gingen und sich den Realien zuwandten. 
Damit aber wurde die Einheit des Geistes, die Organisation des 
Lehrplans, auf der die Kraft der gymnasialen Bildung hauptsächlich 
beruhte, von innen heraus gestört und drohte verloren zu gehen. 
Es kam noch ein Bestandteil der modernen Bildung hinzu, um 
zu dem gleichen Erfolge beizutragen: das vaterländische. Die Be- 
schäftigung mit der Muttersprache und ihrer Literatur ist in unseren 
höheren Schulen lange Zeit in einer Weise hintangesetzt worden, 
wie das Ausländern kaum verständlich sein dürfte. Der Unterricht 
ım deutschen Stil — um diesen handelte es sich lange Zeit aus- 
schließlich — wurde bis in das 19. Jahrhundert hinein nur als 
ein Anhängsel des lateinischen Unterrichts betrachtet. Noch die 
bayerische Schulordnung von 1830 setzte nur für die untersten Klassen 
zwei deutsche Stunden in der Woche an. Der preußische Lehrplan 
von 1837 verlangte das allerdings schon für alle Stufen und für 
die beiden untersten Klassen sogar die doppelte Zeit; neben der 
Grammatik und Stilistik drang allmählich die Literaturgeschichte in 
den Unterricht ein. Aber eine wirkliche Beschäftigung mit den 
klassischen Erzeugnissen der deutschen Literatur gab es damit auf 
den Schulen noch nicht, wiewohl schon Herder zwei Menschenalter 
vorher eine solche gefordert hatte. 1842 erst brachte R. H. Hiecke 
mit seinem Buche „Der deutsche Unterricht auf deutschen Gymnasien, 
ein pädagogischer Versuch“, die deutschen Klassiker als Schullektüre 
ernsthaft in Vorschlag. Aber noch im Jahre 1855 konnte ein Ger- 
manist wie Carl Müllenhoff sich gegen diesen Vorschlag erklären; und 
es ist bezeichnend, daß nicht nur er, sondern auch Carl von Raumer
	        
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