Full text: Deutsche Baumeister

seits zu Verteidigungszwecken nützlich gebaut wurden, und weil 
anderseits die Wehrformen bewußt übersteigert worden sind, um 
den Feind zu schrecken, das heißt um eine Wirkung auf das Gemüt 
auszuüben. Die Baukunst wird diesen Aufgaben gegenüber zu ei- 
ner Halbkunst, die noch heute zu wirken weiß. Die besten Burgen- 
bauten des deutschen Mittelalters hängen sichtbar zusammen mit 
Anregungen aus Byzanz und dem Orient, aus Palästina, wo große 
befestigte Lager für die Kreuzfahrer errichtet wurden. Diese For- 
men des Orients gehen ihrerseits auf römische Urbilder zurück. 
Eine künstlerische Entwicklung hat der Burgenbau dann nicht 
eigentlich genommen; auch machte die Erfindung des ‚Schießpul- 
vers ihn bald illusorisch. Es kam zu einer Verwandlung: aus der 
Burg entstand das Schloß. Die formale Wucht und Größe des itali- 
enischen und südfranzösischen Burgenbaues ist in Deutschland kaum 
je erreicht worden; nur im preußischen Kolonialland gibt es Bei- 
spiele, die aufs glücklichste ein ritterliches und ein geistliches Ele- 
ment vereinigen und eine Synthese darstellen von kirchlicher Bau- 
kunst, Palaststil und Klosterbau. Die Burgen oder deren Ruinen in 
Thorn, Rehden, Marienburg usw. sind Zeugen dafür. 
Eine Großtat des gotischen Geistes ist der Städtebau; die gotische 
Stadt ist ein bewunderungswürdiges Gemeindekunstwerk. Sie ist 
nicht nur von selbst aus den Bedürfnissen gewachsen, sondern sie ist 
künstlerisch bewußt ausgebildet worden. Es läßt sich noch heute ver- 
folgen, in deutschen Städten, deren Entwicklung im fünfzehnten Jahr- 
hundert abgeschlossen worden ist, wie in Rothenburg, Nördlingen, 
Dinkelsbühl usw. und die innerhalb ihrer alten Umwallungen leben- 
dig im alten Gehäuse weiterleben. Wer den mehrmals erweiterten 
Grundriß lesen kann, liest ein Stück Geschichte. Die gotische Stadt 
entwickelte sich von der Burg, vom Bischofssitz, vom Kloster aus wie 
ein Lebewesen, mit Kirchen, Spitälern, fürstlichen Absteigequar- 
tieren, Rathäusern, Tanzhäusern, Gildenhäusern, Zeughäusern, 
Korn- und Kaufhäusern, Speichern, Patrizierwohnungen, Hand- 
werkerhäusern, Marktplätzen, Straßen, Thoren, Mauern, Brunnen, 
Brücken und den reichlich im Innern vorhandenen Freiflächen. Die 
Befestigungen schlossen Gärten, Felder und Wiesen ein; sie um- 
B3
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.