Balkone und Treppenführungen bedeuten; es haftet nicht am Einzel-
nen, sondern nimmt das Ganze auf. Das Auge kümmert sich nicht um
die allegorische Bedeutung der Ornamente und Arabesken, der Tro-
phäen, Namenszüge, Wappen, Kartuschen, Zepter, Palmen, Füll-
hörner, Fruchtgehänge, Statuen, Masken, Karyatiden usw. Was
trunken macht, ist die alles umfassende Formenmelodie, es wirkt der
zwingende Rhythmus der Bauglieder, das Tempo der aufreizend ge-
ordneten Akzente, die Licht- und Schattenwirkung, der Kontrast
von hoch und niedrig, von Horizontalen und Vertikalen, von Ge-
radem und Geschweiftem, es wirkt das aus der Fülle Modellierte, das
die Gesamtanlage wie ein Riesenwerk der Plastik erscheinen läßt.
Das Entscheidende ist, wie aus den mit ihren Bogenfenstern, Balu-
straden und Brüstungsstatuen klar dahinziehenden Galerien mär-
chenhaft grazil die Pavillons und Torbauten mit ihren Kuppeln und
doppelt gebrochenen Dächern aufsteigen, wie die Verhältnisse sin-
gen, wie mit Formen instrumentiert ist, wie das hundertstimmige
Getön symphonisch zusammenfließt. Die barocke Stilidee erreicht
hier auf der Grenzscheide zum Rokoko, im raschen Anlauf ein Höch-
stes. Die Vitalität der Form ist so stark, daß in die Kraft des Blühens
Magisches, ja Dämonisches kommt und daß der Betrachter sich
nicht nur beglückt, sondern ergriffen fühlt. Das ganz und gar Thea-
tralische verwandelt sich in ein Mysterium.
Der Zwinger ist das Werk eines Fünfzigers. Der Westfale Pöppel-
mann wurde im Jahre 1662 geboren. Die Art seiner Ausbildung, der
Weg seiner Entwicklung ist unbekannt. Im Jahre 1686 wurde er
Kondukteur bei dem Oberbauamt, das die Dresdener Neustadt ge-
baut, Pläne für das Schloß angefertigt und auch die Bauten des reich
angelegten Großen Gartens geleitet hat, an dessen Hauptpalais mit
dem überschwenglich säulenprächtigen Saal der Landbaumeister
Il. G. Starke seit 1678 tätig gewesen war. Ganz selbständig im Amt
und in den Zwingerplänen wurde Pöppelmann erst nach dem Tode
seines Vorgesetzten Markus Konrad Dietze im Jahre 1704. In
der Folge reiste Pöppelmann mehrere Male nach Warschau, um
Pläne für ein Königsschloß in der polnischen Hauptstadt zu fördern,
die dann aber auf dem Papier blieben, wie so vieles, was der Künst-
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