Voraussetzungen so grundlegender Natur behalten ihre Bedeu-
tung. Baukunst bleibt immer, was sie ursprünglich war: eine ange-
wandte Kunst. Das Angewandte bezieht sich aber nicht nur auf
materielle und profane Zwecke; der Bauende bleibt auch dann ein
Schüler allgemeingültiger Bedürfnisse, wenn aus Wohnstätten Pa-
läste und Tempel entstehen, wenn das Notwendige symbolisch er-
höht, das Bedürfnis vergeistigt und idealisiert wird, wenn die Form
darstellend geworden ist und dadurch das Schwere leicht, das Not-
wendige frei und das Gesetzmäßige schön erscheint.
Was in der Kunst mit dem Worte Stil bezeichnet wird, ist in der
Baukunst rationeller entstanden als eine romantisierende Geschichts-
Detrachtung annehmen möchte. Der griechische Baustil fußt aufdem
Grundprinzip, ein horizontal Lastendes vertikal zu stützen und den
Ausgleich der beiden Kräfte durch Formen zu veranschaulichen.
Die Gotik beruht auf dem Willen, das horizontal Lastende unsicht-
bar zu machen und die Bauteile so nach oben streben zu lassen, als
sei die Schwere überwunden. Den ursprünglichen Stilformen der
Baukunst liegen technische Konstruktionserkenntnisse, es liegt ihnen
eine intuitiv angewandte Mathematik zugrunde. Das künstlerische
Talent hatte die Aufgabe, aus dem logisch Gefügten das ausdrucks-
voll Schöne zu entwickeln, das heißt, es der Anschauung sinnfällig
und zugleich symbolisch zu machen. So entstand in Griechenland
die Säule, so schuf die Gotik das auf Pfeilerbündeln ruhende System
von Wölbungen. Zeitlich und räumlich scharf abgegrenzte Stilge-
biete bildeten sich, weil folgerichtig abgewandelte Konstruktions-
grundsätze einer Vermischung mit andern Konstruktionssystemen
widerstreben. Der schaffende Mensch ist nur einer Form der
Erkenntnis von Gesetzmäßigkeit zur Zeit fähig. Daraus ergibt sich,
daß Baustile nicht der freien Entschließung genialer Individuen aus-
geliefert sind; der Baumeister ist vielmehr, in höherem Maße als ein
anderer, der Beauftragte eines Kollektivwillens, er ist das denkende
und schaffende Organ eines Kollektivinstinktes für das zeitlich
Unabweisbare.
Selbst auf Grund dieser Beschränkung würde der Baumeister noch
sin freier Schöpfer heißen, wenn er die ihm von seiner Zeit anver-
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