tragenden Pfeiler bis zu den Stützpunkten der Gewölbe hinauf-
geführt werden mußten und die Wand dadurch zur Füllung wurde,
nur noch sich selbst, nicht aber mehr die Decke tragend. In jedem
Stil liegt die Idee des folgenden irgendwo beschlossen; dennoch
brauchen beide nicht artverwandt zu sein. Die Gotik hat aller-
dings Formen des romanischen Stils weitergeführt und übermäßig
gemacht; trotzdem stammt sie als Schöpfung aus einer ganz an-
deren Empfindungszone.
Die Kontrolle dieser Einsicht ist nicht leicht, weil sowohl im Go-
tischen wie im Romanischen die Zahl der ganz stilreinen Bauwerke
klein ist. Viele romanisch begonnene Architekturen sind gotisch
vollendet worden; denn der Bau einer Kirche währte im Mittel-
alter lange, weil das Bauvorhaben fast immer über die Kraft der
Gemeinden ging, und weil darum Perioden eifriger Tätigkeit mit
solchen der Untätigkeit wechselten. Auch ist die Zeit des Über-
gangstils besonders baulustig gewesen. Dieser Umstand schadet — es
wurde schon gesagt — nicht dem Künstlerischen, denn dieses ist
mit dem Stilistischen nicht durchaus identisch; doch erschwert es
den Stilvergleich. Wird diese Schwierigkeit aber überwunden, fin-
det man die rechten Vergleichsobjekte, so kann es nicht zweifelhaft
sein, daß es sich um zwei historisch wohl eng verbundene, im we-
sentlichen aber artverschiedene Formenwelten handelt.
Der romanische Dom der reifen Zeit bezeichnet einen Gipfel
deutschen Kunstvermögens, stilistisch läßt er jedoch an frühchrist-
liche Sakralbauten denken, an die auf ost- und weströmischem Bo-
den entstandenen Kirchenbauten Konstantins des Großen zum
Beispiel. Die konstantinischen Bauten aber gehen deutlich, trotz
ihrer organisch entwickelten Eigenart, auf die römische Antike zu-
rück. Wie eng Antike und Romanik noch zusammenhängen, läßt sich
— es wurde im vorigen Kapitel gesagt —in Trier erkennen; außerhalb
Deutschlands überzeugen davon zumeist die romanischen Tempel-
kirchen Südfrankreichs. Niemals hat die Romanik, so eigentüm-
lich und bodenständig sie sich auch in Deutschland entfaltete,
die Nabelschnur zerschnitten, die sie mit der Antike verbindet. Sie
sagt Deutsches in lateinischer Sprache. Ein auf dem Grundriß von
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