fullscreen: Deutsche Baumeister als Beauftragte ihrer Zeit

Gefühl frei strömen läßt, da ist der Baumeister gehalten, die Stilideen auf 
Bedürfnisse der Allgemeinheit zu beziehen, seien diese nun profaner oder 
ideeller Art. Wie der Grundriß des Wohnhauses nicht beliebig erfunden 
werden kann, sondern ein Ergebnis verzweigter sozialer Bedürfnisse ist, 
so ist auch der Grundriß des Tempels das Diktat einer überpersönlichen 
Gesamtvorstellung. Ein naheliegendes Beispiel bietet die mittelalterliche 
Kirche. Sie brauchte eine Stätte, wo das mystische Opfer vollzogen wurde, 
ein Allerheiligstes, einen Zielpunkt aller Blicke: den Chor. Sie brauchte 
ein Hauptschiff für die Laiengemeinde und ein Querschiff für die sich 
absondernde Geistlichkeit: dem kam die Kreuzform des Grundrisses ent- 
gegen und wurde um der Kreuzesgestalt willen symbolisch und in der 
Folge obligatorisch. Sie brauchte Heiligenaltäre, und es entstanden Kapellen- 
kränze; sie forderte eine noch nachdrücklichere Trennung von Klerus und 
Volk, und bildete den Lettner, sie wollte Glockengerüste, um die All- 
gegenwart des religiösen Gedankens zu verkünden, und bediente sich des 
Turmes: so entstand ein architektonischer Organismus. In dieser Weise 
bestimmten Kultgedanken von je die Formen der Tempel — in Ägypten, 
in Griechenland, im mittelalterlichen Europa, im islamischen Kulturkreis, 
überall. Und ähnlich haben sich die weltlichen Repräsentationsbauten aus 
einer Mischung von profanen und ideellen Zweckbestimmungen, von 
sozialen Faktoren materieller und geistiger Art zu Typen entwickelt. Auch 
so betrachtet, steht der Baumeister in einem Dienstverhältnis. Frei inner- 
halb eines Spielraumes scheint er nur zu sein in der Ausbildung der Ver- 
hältnisse und der Einzelformen und in der Gesamtkonzeption. 
Doch selbst als Detaillist war der Baumeister nie ganz frei. Denn das 
einzelne Individuum ist der völligen Abstraktion reiner Architekturformen 
schwerlich gewachsen. Der Maler kann mit Hilfe der Außenwelt sein 
Gefühl und damit den Menschen überhaupt abschildern; je kräftiger er als 
Subjekt ist, um so lebendiger erfaßt er das objektiv Allgemeine. Die geniale 
Persönlichkeit ist der Parthenonskulpturen und Rembrandtischer Bilder 
fähig; keine geniale Persönlichkeit aber hätte die griechische Säule mit 
dorischem oder jonischem Kapitell oder das Gesims erfinden können. Kein 
einzelner kann solche von aller individuellen Gebrochenheit gereinigten 
Architekturformen, solche Formquintessenzen schaffen. Reinkulturen der 
Form, wie die Baukunst sie braucht. können nur durch die auf einen Punkt 
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