ich Ießtere Schon an und für fi) als die unentbehrlihe Grundlage ernfthafter
Geihichtsfhreibung und erft recht für die Charafterifierung von Perfönlich-
keiten erachte, ſo erſcheint es mir hier um fo notwendiger, fih au< mit dem
Politiker Graf Caprivi zu beſchäftigen, als über dieſen bis auf den heutigen
Tag Urteile gang und gäbe ſind, die nicht als gerechffertigt erſcheinen.
Ich bin ſogar davon überzeugt, daß mit der Zeit der Staatsmann Graf
Caprivi nach verſchiedenen Richtungen hin eine gerechtere Einſhäßung finden
wird als bisher, und ih erachte es geradezu als eine Art geſchichtliche
Pflicht — ganz abgeſehen von meiner Ho<hſchäßung des Grafen als Soldat
und Menſh —, hierzu Beiträge zu liefern, die wohl Anſpruch darauf er-
heben dürften, zuverläſſig zu ſein. Gleichzeitig finden dabei auch politiſche
Fragen von allgemeiner Bedeutung Erörterung.
General 9. Caprivi war na< dem Kriege 1870/71, in dem er ſi<
als Chef des Generalſtabes X. Armeekorps ſowohl am 16. Auguſt (Schlacht
von Vionville — Mars-la-Tour) als am 28. November (Schlacht von
Beaune la Rolande) allgemein anerkannte große Verdienſte erworben
hatte, *) ſpäter Nachfolger des Generals v. Stofh als Chef der Marine
geworden. Er ſorgte in dieſer Stellung für eine ſtraffere Diſziplin und eine
ſtrengere militäriſhe Auffaſſung überhaupt, da fi bis dahin noch etwas
vom Weſen der Handelsmarine in der Flotte erhalten hatte. Auch er-
kannte er früher, als es irgendwo anders geſchah, die große Bedeutung der
Torpedowaffe und baute lettere ſo raſ< und ſahgemäß aus, daß Deutſch-
land in dieſer Beziehung \<hließli< an der Spitze aller Seemächte ſtand.
Als kommandierender General in Hannover von ſeinem Armeekorps hoch-
geihäßt, berief ihn der Kaiſer im Frühjahr 1890 als Nachfolger des
*) Es iſ deshalb unverſtändlich, daß in den „Erinnerungen des Generalfeldmarſchalls
Grafen Walderſee“ (Deutfhe Verlagsanſtalt 1922) dieſe Verdienſte beſtritten werden.
Schon allein die Akten über den Krieg 1870/71 aus dem Archiv des Großen General-
ſtabes erweiſen das Gegenteil. Umſonſt hatte der Oberſtleutnant v. Caprivi den damals
wohl ſelten verliehenen Orden pour le mèrite niht erhalten. Ausérdem war allen
„Wiſſenden““ bekannt, daß v. Caprivi die treibende Kraft beim Generalkommando war,
da der General Voigt-Rheß {on während des Krieges unter Abnahme ſeiner geiſtigen
Kräfte litt. Nur v. Caprivi war es u. a. zu verdanken, daß in Ergänzung des von
falfhen Vorausſeßungen (Abmarſch der Franzofen nad der Mans) ausgehenden Befehles
des Oberfommandos, dem X. A.-K. die Möglichkeit geihaffen wurde, no< am 16. 8. in
die Schlaht von DVionville-Mars In Tour einzugreifen. Jn der Schlacht von Beaune
la Rolande war es Caprivi, der den bereits von General v. Voigt-Rhesb erlaſſenen Rü-
zugsbefehl aufhob.
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