Full text: Rohstoff-Fragen der deutschen Volksernährung

  
  
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Ernährungswirtschaft, Ernährungswissenschaft und Eiweißproblem. 39 
  
Aber gerade heute fehlt in vielen Fällen dasrichtige Mischungsverhältnis, 
und gerade hier laufen wir Gefahr, uns am weitesten von der natürlichen Ernäh- 
rungsbedingung zu entfernen. 
Die Landwirtschaft selbst paßte sich den veränderten Lebensbedingungen 
an. Infolge des zunehmenden Handels und des sich daraus entwickelnden 
scharfen Konkurrenzkampfes hat sich auch dort z. T. die ‚Veredelungs- 
industrie‘ einiger unserer Nahrungsmittel bemächtigt. 
So sind die Lebensmittel heute zu einem Gegenstand geworden, der vom 
Erzeuger bis zum Verbraucher durch vieler Menschen Hände geht, oft ein ver- 
wickeltes Welthandelsnetz kreuz und quer durchläuft und noch dazu in 
Schiffen, Hafenplätzen oder in Speichern lagern muß. 
Die Wandlungen in der Ernährung des deutschen Volkes in den letz- 
ten Jahrzehnten sind so wesentlich, daß wir auf bestimmte Einzel- 
heiten noch näher eingehen müssen. Sie machen sich insbesondere in Be- 
zug auf! 
1. die Zusammensetzung der Kost, 
2. die Herkunft der Nahrungsmittel, 
3. auf die Auswahl nach dem Genußwert, welcher in den Aromastoffen liegt, 
bemerkbar. 
Rein historisch interessant ist die Tatsache, daß vor dem Ende des 19. Jahr- 
hunderts die Ernährung zwischen Reich und Arm weitaus unterschiedlicher war 
als heute. Wenn auch heute der Tisch des Nichtbegüterten noch nicht so reich- 
lich und vielseitig gedeckt ist, so sind doch heute die Nahrungsmittel für alle 
fast gleich. Die Kost unterscheidet sich mehr hinsichtlich der Quantität und 
Qualität sowie der Zubereitung mit dem Ziele der Schaffung von Genußwerten 
(Aromastoffen) als nach der Art der Nahrungsmittel. Bis zum Einsetzen 
der Industrialisierung wurde auf dem Lande Fleisch selten, oft nur einmal 
in der Woche gegessen, oft nur Sonntags oder gar nur Festtags (wie es heute 
in Süditalien und Sizilien, in Südfrankreich, aber auch in der Eifel und 
andern deutschen Landschaften der Fall ist). Fleisch, Vollmilch, Butter 
und Eier wurden verkauft. 
Breie, Grützen aus Hafer, Grieß, Hirse und Buchweizen mit Talg und 
Schmalz zubereitet, Klöße, Magermilch, Roggenbrot, Kartoffeln, Kohl, Rüben 
und Hülsenfrüchte waren die Hauptnahrung, die die Grundlage einer gesunden 
Ernährung darstellten, zumal diese Nahrungsmittel natürlich, d. h. ‚‚unbe- 
arbeitet und unveredelt‘‘ waren. Die Eiweißmenge war ausreichend. 
In den Städten warder Fleischverbrauch in jener Zeit, etwa um 1840 bis 
1870 (nach Tyszka) höher. Er bewegte sich um 33—34 kg, in Industrie- 
städten — z. B. Leipzig — sogar um 60 kg je Kopf und Jahr. 
Um die Jahrhundertwende ging die breite Masse auf eine Kost über, die nicht 
mehr vegetabil ist: Die Hälfte des vom Arbeiter verbrauchten Eiweißes be- 
steht jetzt aus tierischem Eiweiß. Im Jahre 1928 wird die Hälfte sogar über- 
schritten. Das stellt einen gewaltigen Umschwung dar, wenn man bedenkt, 
daß um 1840—1870 der Verbrauch des tierischen Eiweißes in der Ernährung 
nur 15%, ausmachte. 
Die Gründe für diesen Wechsel sind bekannt: Änderung der Geschmacks- 
richtung, Änderung der Tätigkeit und Arbeitsweise und der Lebensweise des 
Volkes, Übergang von der schweren körperlichen zur mehr geistigen Arbeit, 
Rationalisierung und Mechanisierung der Arbeit, mehr sitzende Lebensweise, 
Aufnahme von Millionen Frauen in das Berufsleben. 
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