Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

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Saturnine Gehirnleiden. 2231 
culen auf den Schleimhäuten der ersten Wege oder der Luftwege nach- 
folgen, was bei der technischen Verwendung des Bleis nicht ganz selten 
vorkommt. Demgemäss beobachtet man saturnine Cerebralaffection bei 
Arbeitern in Bleiweiss- und Meningefabriken, bei Anstreichern, Farbenrei- 
bern, Töpfern, Berg- und Hüttenleuten, kurz bei allerlei Handwerkern und 
Gewerbireibenden, welche mit Bleipräparaten und Bleiemanationen viel zu 
schaffen haben. Die Zeit, in welcher ein saturnines Hirnleiden bei sol- 
chen Leuten zur Ausbildung gelangt, ist äusserst verschieden, denn man- 
che Arbeiter verfallen schon nach einigen Tagen, viele nach vielen Wochen 
und Monaten, manche nach vielen Jahren der Krankheit. Nicht selten 
kommt die Encephalopathie im Verlaufe anderer Krankheiten und beson- 
ders der Bleikolik zu Folge einer Art von Metastase zum Durchbruch. 
Wie es scheint, ist zur Genese der Krankheit eine ganz besondere Prädis- 
position erforderlich, denn manche Arbeiter verfallen niemals der Encepha- 
lopathie, während andere sehr leicht und wiederholt von dem Leiden er- 
griffen werden. Unter den begünstigenden Verhältnissen scheint der Miss- 
brauch alkoholischer Getränke die ersie Stelle einzunehmen, während 
Gemüthsbewegungen, deprimirende Affecte, Geschlechtsausschweifungen 
und selbst chronische Hirnleiden die Genese der Krankheit nicht zu be- 
günstigen scheinen. 
DIAGNOSE. 
$. 262. Die saturnine Encephalopathie kann mit Entzündungen des 
Gehirns und seiner Umhüllungen, mit chronischen Desorganisationen des 
Gehirns, Apoplexien, Geisteskrankheiten , mit gewöhnlicher Epilepsie, mit 
Alkoholismus u. a. Krankheiten verwechselt werden. Wie sie davon nach 
objectiven Erscheinungen zu unterscheiden ist, wurde bereits oben bei den 
einzelnen Formen der saturninen Cerebralaffection angedeutet. Hier ist 
noch nachzutragen, dass auch die anamnestischen Verhältnisse, die Le- 
bensweise der Patienten, die Zeichen der saturninen Dyskrasie und Ka- 
chexie zur Festsiellung der Diagnose wohl zu berücksichtigen sind, was 
sich übrigens ganz von selbst versteht. 
PROGNOSE. 
$. 263. Nach den Erscheinungen, mit welchen die saturnine En- 
cephalopathie auftritt, ist es gerechtfertigt, dabei immer eine ungün- 
stige Prognose zu stellen. Glücklicher Weise sind indessen die Heilver- 
suche, welche in neuester Zeit gemacht wurden, von ziemlich günstigem 
Erfolg begleitet gewesen, so dass man im concreten Falle immer Hoffnung 
auf Wiederherstellung des Patienten lassen darf. Uebrigens sind die Ge- 
fahren, welche die verschiedenen Formen von saturniner Encephalopathie 
im Gefolge haben, ziemlich verschieden. Wie die Erfahrung lehrt, ist das 
saturnine Delirium weniger gefährlich, als das saturnine Coma, letzteres 
weniger gefährlich, als die saturninen allgemeinen Convulsionen, letztere 
minder gefährlich, als die Combination dieser verschiedenen Formen. 
Ebenso sind das remittirende Delirium minder gefährlich, als das anhal- 
tende, das tiefe Coma gefährlicher, als das gewöhnliche, die partiellen 
Convulsionen minder gefährlich, als die allgemeinen, letztere, wenn sie 
ohne bestimmte Form auftreten, minder gefährlich, als die epileptischen. 
Die Hoffnung auf Heilung des Patienten wächst mit jedem Tage im Ver- 
laufe der Krankheit. Hat der Patient den sechsten, siebenten Tag über- 
lebt, so ist für das Leben desselben nur noch wenig zu fürchten, da der 
Tod in solchen Fällen nur noch selten eintritt. Gehören die von der En- 
cephalopathie ergriffenen Individuen zu den Säufern, so ist denselben eine 
höchst ungünstige Prognose zu stellen. 
 
	        
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