10 Falck, die klinisch wichtigen Intoxikationen.
sicht auf Dosirung und chemische Wirkung in ihren Definitionen von Gift
als besonderes Merkmal derselben hervorgehoben, dass sie die festen 'und
flüssigen Theile des Organismus alteriren, respective destruiren. Dahin
gehören z. B. Melchior Friecius*) und Navier*), von welchen der
letztere die Gifte als „Stoffe“ definirt, „welche wesentlich zur Zer-
störung der thierischen Haushaltung streben, sei es durch
Angreifung des Baues der festen Theile, oder durch Zer-
störung der zum Leben erforderlichen Eigenschaften des
Flüssigen,“ während der erstere von den Giften sagt: „Venenum est
omne, quod in parva quantitate magnas obtinet nocendi vires, vel quod
spiritus, humores et partes solidas corporis nostri insigniter laedit, cor-
rumpit et profligat.‘“ Auch diese Definitionen enthalten offenbar einen
Fortschritt in der Erkenntniss der Gifte, insofern sie den natürlichen, in-
neren Grund berücksichtigen, weshalb die Gifte Gesundheit und Leben be-
drohend Unwohlsein, Krankheit und Tod verursachen. Indessen lässt sich
nicht verkennen, dass die Definitionen in der Nacktheit, wie sie ein we-
sentliches Merkmal der Gifte hervorheben, noch lange nicht zureichen,
jede Irrung, hinsichtlich der Gifte zu verhüten, Sowohl nach der Frick-
schen, als auch nach der Navier’schen Definition ist man berechtigt
z. B. Glasscherben und siedendes Wasser als Gifte zu bezeichnen, da in
keiner Weise bemerkt wurde, dass nur chemisch wirkende Substanzen
zu den Giften gehören.
Wie man aus Allem ersieht, sind von den verschiedenen Schrift-
stellern nach einander fast alle wesentlichen Merkmale der Gifte in ihre
Definition aufgenommen worden. Geht daraus zur Genüge hervor, dass
die Erkenntniss des Giftbegriffs eine fortschreitende war, so kann man
sich nur darüber wundern, dass man es verschmähte, die bisher erhobe-
nen Merkmale in eine Definition zu bringen. Wie es scheint, war nur Be-
fangenheit in einseitigen Ansichten der Grund dieser Versäumniss; aber
die Befangenheit selbst hatte offenbar darin ihren Grund, dass es in frü-
herer Zeit allzusehr an tieferer Naturerkenntniss gebrach.
$. 16. Unter solchen Verhältnissen dürfen wir uns nicht wundern,
wenn in früherer Zeit auch der Satz aufgestellt wurde, dass neben den
gewöhnlichen Giften auch noch sogenannte mechanische Gifte exi-
stirten. Wunderbarer Weise hat sich diese Irrlehre bis in die letzten De-
cennien dieses Jahrhunderts erhalten und findet wohl jetztnoch vereinzelte
Anhänger. Wie es scheint, ist die Lehre dadurch entstanden, dass man
die Gifte nicht durch physische, sondern grösstentheils durch übernatür-
liche Kräfte wirken liess, und dass man sie dadurch unbeschadet ih-
rer Molekularkräfte wirken liess. So kam es denn, dass man selbst
solche Substanzen als Gifte bezeichnete, welche wie die Pulver von Glas,
Diamant, Lasurstein, Granat, Korund und Karneol oder wie geschabte
Menschennägel in Wasser und Darmsäften völlig unlöslich sind und folg-
lich mit ihren Molekulen gar nicht agiren können, Obschon die Absurdi-
tät dieser ganzen Lehre frühzeitig von einzelnen Aerzten nachgewiesen
wurde, so waren es doch später die Jatromathematiker, und noch später
die unklaren Vitalisten, wie Gmelin, Portal, Fodere& u. A., welche
die Existenz mechanischer Gifte glaubten festhalten zu müssen. Hatte man
sich einmal in mystische und unklare Vorstellungen verrannt, was konnte
*) Paradoxa de Venenis p. 28.
”) Gegengifte des Arseniks übers. v. Weigel, 1. Bd. S. 12.
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