Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
399 Falck, die klinisch wichtigen Intoxikationen. 
ders stellte sich ein unüberwindliches Verlangen nach sauren Speisen 
und Getränken ein, dessen Befriedigung indessen nur erneutes Erbrechen 
zur Folge hatte. Dabei war die Verdauung der Patienten schlechter als 
sonst, wenn auch die Stuhlgänge regelmässig erfolgten. Nicht selten artete 
indessen die Leibesöffnung in eine vollständige Diarrhöe aus, wobei bald 
höchst fötide Fäces, bald ganz unverdaute Speisen ausgeleert wurden. 
Als Folge der Durchfälle bemerkte man über kurz oder lang eine mehr 
weniger bedeutende Abzehrung, welche das Leben vieler Patienten und 
besonders der Kinder und Greise nicht wenig gefährdete. Ueberdies sah 
man sehr häufig alle Zeichen einer starken und bedenklichen Helminthia- 
sis, als massenhalte Abgänge von Würmern (Ascaris-lumbricoides) durch 
Erbrechen oder durch Stuhlgänge, sowie mancherlei durch Würmer er- 
zeugle, oder unterhaltene Zufälle des Nervensystems, welche mit dem 
Abgange der Würmer auffallend rasch schwanden. Um mit den Cerebro- 
spinalsymptomen fortzufahren, so klagten die Patienten über ein lästliges 
Gefühl von starkem Ziehen und Reissen im Rücken, das mit höchst 
schmerzhaften tonisch-spasmodischen Contractionen der Muskeln und be- 
sonders der Flexoren der Muskulatur verbunden war. Diese Affeetion war 
so schmerzhaft, dass die Kranken gewöhnlich weinten und wehklagten 
und voll Unruhe, voll Angst und Pein und mit kalten Schweissen bedeckt 
? 
auf dem Lager sich umherwarfen. Wurde dem Verlangen der Patienten 
nach Extension der contrahirten Glieder nachgegeben, so‘ konnte man 
zwar die spasmodischen Contraeturen durch die Kraft der Hände über- 
winden, aber dieselben sellten sich mit dem Nachlasse der künstlich be- 
wirkten Extension sofort wieder ein. Nach stundenlanger Dauer liess 
denn endlich die spasmodische Contraclion von selbst nach, worauf die 
Kranken erschöpft und ermattet im Schlummer und Verzückung veräielen. 
Nach dem Erwachen verspürten die Patienten gewöhnlich einen bedeu- 
tenden Appelit, dem sie mit grosser Gier nachzukommen suchten und eine 
solche Kraft und Stärkung, dass sie sich von ihrem Lager erhoben und 
selbst zur Arbeit vorschritten. Indessen dauerte diese Befreiung von den 
Leiden nicht lange Zeit, sondern wich neuen spasmodischen Contracturen, 
die in unregelmässig intermittirenden Paroxysmen, am häufigsten des Vor- 
mittags, sowie nach Gemüthsbewegungen wiederkehrien. Neben diesen 
Zufällen, die zuweilen schon nach kurzer Zeit in tetanische Krämpfe aus- 
arteten und tödtlich abliefen, klagten die Patienten, wie schon im Stadium 
der Vorläufer über Formieatiion und Taubheit der Glieder. Indessen war 
das Ameisenlaufen jetzt viel stärker, viel ausgebreiteter und anhaltender, 
als früher, denn die Patienten empfanden dasselbe nicht nur in den Fin- 
gern und Zehen und den oberflächlichen Theilen des Körpers, sondern 
selbst in dem Kopfe, in dem Gesicht, in dem Zahnfleische, in den Alveo- 
len, in dem Gaumen und Schlunde, ja selbst in der Brust, in dem Magen 
und Unterleibe. War das Leiden etwas bedeutender, so klagten die Pa- 
tienten über eine complete Anästhesie der Finger und Glieder, die mit- 
unter so ausgebildet war, dass alle möglichen Verletzungen und Insulta- 
tionen der Haut ohne Regung’ von Schmerz stattfinden konnten. Merk- 
würdiger Weise blieb sich diese Anästhesie und Taubheit nicht immer 
gleich, sondern verminderte sich unter dem Einflusse starker Arbeit und 
anhaltender Körperbewegung. Von Hirnzufällen, die sich gleichzeitig aus- 
bildeten, sah man häufig genug convulsivische Zuckungen um den Mund, 
an den Augen und Wangen, Erweiterung der Pupillen, die gewöhnlich mit 
Schwindel verbunden war, Störungen im Sehvermögen, als Schmerzhaf- 
tigkeit der Augen bei grellem Lichte, Diplopie, Chromatopsie , Pseudopsie, 
Ja zuweilen selbst Amblyopie und Amaurose mit nachfolgenden Cataracten.
	        
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