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364 Virchow, Zoonosen.
man wenig Grund anzunehmen, dass die Krankheit irgendwie häufig beim
Menschen vorgekommen sei. Früher haben wir erwähnt, dass auch beim
Hunde im ganzen Orient noch heutigen Tages die Lyssa sehr selten vor-
kommt und in den ältesten Schriftwerken nirgends bestimmt erwähnt wird
($. 19.), sowie dass im Allgemeinen die Ausbreitung derselben in einem ge-
wissen Verhältnisse zu der steigenden Verweichlichung derHunde zu stehen
scheint ($. 20.), Man darf sich daher gewiss nicht wundern, wenn die Hy-
drophobie des Menschen gleichfalls sehr selten und ihre Kenntniss eine
wenig verbreitete war. Hecker beruft sich auf die uralte Bezeichnung der
Pflanze Alysson, allein auch dieser Beweis ist wenig zulässig, da man die
eigentliche etymologische Bedeutung des Wortes Lyssa nicht kennt. Denn
die Erklärung, welche ich bei dem gelehrten Lexikographen Stephanus
finde, dass dasselbe die Avoss r@v Aoyıcuav bedeute, dürfte wenig An-
klang finden. Will man sich einmal auf mythische Ueberlieferungen ein-
lassen, so dürfte die Geschichte der Lykanthropie und Kynanthropie un-
gleich mehr Anhaltspunkte darbieten*).
Kann man daher auch kein Gewicht auf die Angabe des Plutarch
(Sympos. Lib. VII. Probl. 9.) legen, dass die Hydrophobie zuerst in der
Zeit des Asclepiades von Bithynien (um 80 v. Chr.) aufgetreten sei, so
darf man doch wohl nicht in Abrede stellen, dass sich ihre Geschichte
über Democritos (} 404 v. Chr.) nicht hinausverfolgen lässt, und dass
erst in der alexandrinischen Schule einzelne genauere Beobachtungen ge-
sammelt sind. Bedenkt man, dass die Uebertragung des Rotzes auf den
Menschen erst in diesem Jahrhundert festgestellt ist, so kann man sich
nicht wundern, dass eine lange Zeit dazu gehört hat, um die Uebertragung
einer Krankheit zu erkennen, deren Incubationsdauer so gross ist.
$. 25. Trotz der grossen Zahl von Beobachtungen, welche über die
Lyssa des Menschen aufbewahrt sind, finden wir denselben Widerstreit
der Meinungen, den wir oben für die Lyssa canina besprochen haben; ja
seitdem man sich überzeugt hat, dass jenes Symptom, welches beim Men-
schen als das am meisten pathognomonische hervortritt, die Wasserscheu,
bei den Thieren fehlt, hat sogar die Ansicht wesentlich an Anhängern
gewonnen, dass die Hydrophobie des Menschen gar nicht als Analogon oder
Aequivalent derLyssa der Thiere betrachtet werden dürfe. Manche sind mit
Bosquillon so weit gegangen, die ganze Krankheit nur für eine einge-
bildete, ein Produkt der aufgeregten Phantasie der gebissenen Menschen
zu halten. Andere stützten sich darauf, dass die Wasserscheu beim Men-
schen zuweilen als Symptom anderer Krankheiten sich äussere und da-
her nichts Speeifisches enthalten könne. Noch Andere endlich fanden eine
grosse Uebereinsiimmung mil anderen Nervenkrankheiten, und so haben
namentlich der ältere Textor und Bruckmüller die Aehnlichkeit mit
noıi uaviev za orav dern, Aurtcıw ünevre ra OnyIvra nıyv dvdoWnov .
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cv$gwnov. Schon Marcus Ant. Montisianus (Quaestiones medic. Lugd. 1577.
p. 113.) discutirt eine grosse Zahl sonderbarer Interpretationen und glaubt dadurch
helfen zu können, dass, während alle Thiere, die gebissen würden, toll werden
und sterben, nicht alle Menschen dieses Loos hätten. Allein Hecker hat gezeigt,
dass schon Mercurialis (1598) in einer alten und zuverlässigen Handschrift
den letzten Satz vermisst hat, und dass wahrscheinlich die ganze Erwähnung des
Menschen an dieser Stelle eine Fälschung ist.
*) Vergl. über diese Zustände Leubuscher, Ueber die Wehrwölfe und Thierver-
wandlungen im Mittelalter, Berlin 1850.
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