496 Simon, Syphilis.
Seuche, die krimmsche Krankheit, das Mal rouge de Cajenne,
die norwegische Radesyge, die holsteinische Marschkrank-
heit, die jütländische, die kurländische Seuche u. s. w. sind
syphilitischen Ursprungs mit zum Theil leprösen Symptomen. Daher der
Streit über die lepröse oder nicht lepröse Natur der genannten Syphiloiden.
V. Lustseuche sowohl als Aussatz werden von den Eltern auf die
Kinder vererbt.
VI. Kinder von syphilitischen Eltern, selbst wenn diese auch zur Zeit
der Zeugung nicht an syphilitischen Symplomen der Seuche litten, bekom-
men bisweilen hartnäckige und unvertilgbare Hautkrankheiten, die den be-
kannten Formen des Aussatzes entsprechen.
VII. Syphilis und Aussatz können jahrelang im Körper schlummern,
als latente Dyskrasie, oder sich auch bisweilen nur als allgemeine Kache-
xie ohne specifische Symptome äussern.
VII. Die von den namhaftesten Wundärzten des Mittelalters, The o-
dorich, Arnald von Villanova, Guido von Chauliac schon
gegen viele Formen des Aussatzes erprobte Heilkräftigkeit des Quecksil-
bers, namentlich der Einreibungen bis zu anhaltendem Speichelflusse, wo-
durch Aerzte und Afterärzte zur Zeit des ersten Ausbruchs der Lust-
seuche auf die Inunctionen als das kräftigste Heilmittel derselben verfielen.
&. 9. Erwägen wir diese acht Punkte mit unbefangener Kritik, so
kann uns kaum entgehen, dass die Lustseuche oder Syphilis keine spon-
tane oder autochthonische Krankheit neueren Datums ist, und warum so
manche Aerzte schon zu Ende des 15. Jahrhunderts in dem Morbus gal-
lieus nichts Anderes erblicken wollten, als Lepra oder Elephantiasis. Nur
zwei Umstände könnten uns Anstoss geben: 1) dass die Ansteckung beim
Aussatz selten durch den Beischlaf erfolgte und 2) dass die Lustseuche
aus dem Aussatze zu einer Zeit hervorgegangen sein soll, als dieser an-
erkanntermaassen im Absterben begriffen war und seine schlimmsten For-
men selten oder gar nicht vorkamen. Diese allerdings anstössigen Um-
stände lassen sich nur so erklären, dass die Harnröhrenflüsse, die Ge-
schwüre, Kondylome und Rhagaden an den Geschlechtstheilen und am
Gesäss, die schon in der wüsten, sittenlosen Zeit des römischen Kaiser-
thums und noch mehr im rohen, ausschweifenden Mittelalter so überaus
häufig waren, nur ein gleiehsam örtlicher Reflex des damals so allgemein
verbreiteten Aussalzes gewesen sind. Dieser gewissermaassen partikuläre
Aussatz der Geschlechtstheile und ihrer Umgegend, der unverkennbar in
niehts Anderem bestand, als was wir jetzt primäre syphiliiische Symptome
nennen, gewann durch die entsetzliche Sittenlosigkeit im Mittelalter, durch
eine wenig beaufsichtigte und dabei so allgemeine Prostitution, wie wir
sie jetzt kaum kennen, mehr und mehr an Virulenz und Selbsiständigkeit,
während der genuine allgemeine Aussatz, als eine dem Abendlande vom
Morgenlande nur eingeimpfte Hautkrankheit, mehr und mehr abnahm, als,
seit dem Aufhören der Kreuzzüge, der massenweise Verkehr mit dem
Orient nicht mehr stattfand.
$. 10. Trotz so allgemeiner Verbreitung des partikulären Aussatzes
oder in loco vulvae, wie Paracelsus sich ausdrückt, wird es leicht be-
sreiflich, wie der Kriegszug der Franzosen nach Neapel (1494), wo eine
rohe, aus allen Ländern zusammengeströmte Soldateska mit den italieni-
schen Dirnen auf eine viehische Weise ausschweifte, zum Ausbruch einer
sehon lange vorbereiteten Seuche Anlass geben konnte, die in den ersten
Decennien ihres Bestehens den uralten Aussatz in seinen schlimmsten und