Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

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Contagium oder Virus der Syphilis. 437 
Wie es nun gewöhnlich mit solehen mehrdeutigen wissenschaftlichen 
Streitfragen geht, sie werden eine Zeit lang debatlirt und dann wieder ad 
acta gelegt. Die meisten Aerzte blieben, wie gesagt, bei der alten An- 
sicht von der Identität des Tripper- und Schankergiftes, obgleich Ritter 
(1819) noch einmal in einem besonderen Werke die syphililische Natur 
des Trippers durchaus in Abrede stellte und sogar eine eigne Tripperseu- 
che, d. h. dem Tripper eigenihümliche und von der, auf den Schanker 
folgenden, allgemeinen Lustseuche ganz verschiedene secundäre Symptome 
zu stiften versucht hat. 
Erst in neuester Zeit hat Ricord bei Gelegenheit der Inoculation 
des Schankervirus die alte Streitfrage über Identität oder Nichtidentität 
des Tripper- und Schankergiftes wieder aufgenommen und nach allerdings 
sehr zahlreichen Impfversuchen, nicht allein die Verschiedenheit der bei- 
den Ansteckungsstoffe ausgesprochen, sondern auch behauptet, es gäbe 
überhaupt kein besonderes Trippervirus, worin ihm viele Aerzte beige- 
pflichtet haben. Rieord’s und Anderer Impfversuche lassen nun allerdings 
keinen Zweifel, dass den gewöhnlichen Wirkungen nach eine wesentliche 
Verschiedenheit zwischen Tripper- und Schankergift stattfindet, die übri- 
gens durch die tägliche Erfahrung längst erwiesen ist. Das in die Haut 
eingeimpfte Trippergift erzeugt keine Schankerpustel; das in die Harnröhre 
eingeimpfte Schankergift erzeugt nicht Tripper, sondern Schanker. 
Andererseits haben die Riecord’schen Impfversuche ergeben, dass, 
wenn auch selten, der in die Haut eingeimpfle Trippereiter Schanker er- 
zeugt. Castelnau, welcher 15 Inoculationen mit Tripperstoff anstellte, 
sah nach 14 keine Wirkung, aber die 15. ergab eine characteristische 
Schankerpustel. Evans will gefunden haben, dass die milden Schanker, 
die späterhin papulöse Hautausschläge zur Folge hatten, durch Coitus mit 
Frauen entstanden waren, welche nur an Tripper litten. Ricord selbst 
machte in einzelnen Fällen die Erfahrung, dass die Inoculation mit Trip- 
pervirus die characteristische Schankerpustel erzeugte. Diese Anomalie 
erklärt er aber daraus, dass dann der Tripper nicht einfach, sondern mit 
Schanker in der Harnröhre complieirt, oder vielmehr der Tripper dann 
nichts Anderes sei, als ein Harnröhrenschanker, ein sog. larvirter Schan- 
ker. Damit glaubt er zugleich die anderweitige Beobachtung erledigen zu 
können, dass bisweilen auf vermeintlichen Tripper seeundäre Symptome 
der Lustseuche folgen. 
Dass nun, wenn auch im Ganzen selten, Schanker in der Harnröhre 
vorkommen, ist eine Thatsache, die auch schon ältere Aerzte anerkannt 
haben. Anders aber steht es mit der Behauptung, dass jedesmal, wenn 
der Trippereiter positive Impfungsresultate ergibt, dann auch ein Schan- 
ker in der Harnröhre vorhanden sein müsse. Für diese Behauptung hat 
Ricord den unumstösslichen Beweis nicht geliefert; sie beruht vielmehr 
auf einer baaren Petitio prineipii. Schanker in und jenseits der Fossa 
navieularis sind überhaupt nicht so leicht zu ermitteln und bleiben immer 
hypothetisch. Zudem kann der scharfe Tripperschleim die Harnröhre cor- 
rodiren, ohne dass deswegen eine solche Erosion unbedingt für Schanker 
anzusprechen ist. Andererseits hat Baum&s durch Thatsachen, die Ri- 
cord vergebens durch gesuchte und subtile Einreden zu enikräften ver- 
sucht hat, erwiesen, dass auch auf Tripper, die keine positiven Impfungs- 
resultate ergeben haben, secundäre Symptome der Lustseuche gefolgt sind. 
Ferner ist es bekannt, dass oft Frauen, welche nur an Tripper leiden, ei- 
nem ihrer Liebhaber Tripper und bald darauf einem Anderen Schanker 
mittheilen. Man hat freilich dagegen geltend gemacht, dass eine genaue 
Untersuchung bei diesen Frauenzimmern, mittels des Speculums, versteckte 
  
 
	        
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