Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

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Syphilitisches Contagium. 441 
sen 1852 das Anathem über die Syphilisation ausgesprochen und sie aus 
medicinischen, physiologischen , moralischen und logischen Gründen ver- 
worfen hat, so wollen wir unsererseits die Idee, den Menschen vor der 
Vergiftung durch das syphilitische Contagium zu schützen, keineswegs als 
abgeschmackt oder widersinnig gebrandmarkt haben. Im Gegentheil, wenn 
man die Schwierigkeiten, mit denen man oft bei der gründlichen Tilgung 
der syphiliischen Dyskrasie zu kämpfen hat, aus Erfahrung kennt, so 
könnte man nur um so mehr wünschen, es gäbe im Pflanzen- oder Thier- 
reich ein sicheres, unfehlbares Antidot gegen die syphililische Vergiftung, 
die so manchen Menschen Zeitlebens siech und elend macht und so 
manches Kind schon im Mutterleibe vergiftet und tödiet. Aber die Idee, 
dieses Problem durch dasselbe Gift zu lösen, was die Quelle der consti- 
tutionellen Syphilis ist, — d.h. durch den tollsten und bedenklichsten Grad 
von sog. Isopathie — war im höchsten Grade verfehlt und unglücklich. 
Die unzweifelhafte, wenn auch bedingte Schutzkraft der Vaeeine gegen 
die Variola humana möchte vielleicht den einzigen Weg zeigen, wie die 
Idee der Syphilisation zu verwirklichen wäre, wenn nämlich die Syphilis 
des Menschengeschlechts sich in irgend einem Hausthiere auf mildere Weise 
reproducirte, so dass man hoffen dürfte durch Uebertragung dieses ge- 
milderten Thiergiftes auf den Menschen, diesen gegen die schlimmen und 
verderblichen Folgen des syphilitischen Giftes der Menschenrace zu schützen. 
Denn von einem absoluten Schutze ist nicht einmal bei der bewährten 
Vaceine die Rede, da die Vaceinirten trotz derselben doch noch für das 
Variolagift empfänglich bleiben, wenn auch meist in sehr gemildertem 
Grade. Immer aber bliebe noch der zu beherzigende Unterschied, dass 
1) das syphilitische Gift ein chronisch, langsam und schleichend wirken- 
des ist, das nicht, wie das Variolagift, durch acutes Fieber und acuten 
Ausschlag sich auszuscheiden geneigt ist. Das modifieirte syphilitische 
Thiergift könnte daher eine ganz andere Wirkung auf den menschlichen 
Organismus haben, als die Vaceine in Bezug auf die Variola, 2) ist die 
Mehrzahl der Menschen nicht, wie bei der Variola, unvermeidlich der sy- 
philitischen Ansteckung preisgegeben, sondern der Mensch kann sich ge- 
gen sie durch moralische Kraft und Willen einigermaassen selbst schützen. 
Eigenschaften des syphilitischen CGontagiums und sein Ver- 
halten zum menschlichen Organismus. 
$. 27. Die Receptivität für das syphilitische Contagium beschränkt 
sich nicht auf ein bestimmtes Alter, obgleich begreiflicherweise die An- 
steckung am häufigsten in die jugendliche und mittlere Lebensperiode fällt. 
Aber schon der Fötus im Uterus, der Säugling ist eben so wie der Greis 
für syphilitische Ansteckung empfänglich. Wenn auch manche Menschen 
trotz aller Ausschweifungen, d. h. trotz alles Verkehrs mit Venus vulgi- 
vaga von Syphilis frei bleiben, so kann man daraus doch nicht auf ab- 
solute Unempfänglichkeit schliessen. Niemand besitzt, wie auch Ricord 
meint, einen unbedingten Freibrief gegen das Schankercontagium. Indess 
scheint ein derberes Epithelium,, wie es sich bei den Natura aut arle* cir- 
cumeisis befindet, einigen Schulz gegen die Schankerinfection zu gewäh- 
ren. Wenn daher Ricord sagt: „Wer sich aber vor jeder Ansteckung 
sicher glaubt, darf sich nur der Inoculation unterwerfen, und er wird bald 
das Gegentheil erfahren ; so ist dagegen zu erinnern, dass eben beim 
Coitus keine Impfung mit der Lancetie statfindet, sondern nur eine Fric- 
tion, gegen welche eine derbere Epidermis allerdings einigen Schutz ge- 
währt. Ricord ist nämlich irrigerweise der Meinung, dass auch der na- 
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