Full text: Intoxicationen, Zoonosen und Syphilis (2. Band, 1. Abtheilung)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
464 Simon, Syphilis. 
zuletzt einräumen, wenn auch widerwillig, dass manche Fälle von Syphilis 
oder manche Individuen ohne Quecksilber gar nicht gründlich zu heilen 
sind, ein Gesländniss, was schon im 16. Jahrhundert die erklärtesten Geg- 
ner des Quecksilbers ebenfalls ablegen mussten. Es ist daher eine ver- 
söhnlichere Stimmung zwischen Mercurialisien und Antimereurialisten ein- 
getrelen; die Zeit und die Erfahrung haben Beider Ansichten zum Heil 
der Kranken modifieirt. Und es ist nicht zu leugnen, dass die 1817 in 
Behandlung der Syphilis ausgebrochene Revolution, nachdem deren Stürme 
und Uebertreibungen überstanden sind, ihre wohlthätigen Folgen hinterlas- 
sen hat. 
$. 70. In Frankreich bildete sich endlich durch Riecord, der damit 
anfing durch erneuerte Inoculationsversuche die Existenz des syphilitischen 
Virus gegen die physiologische Schule zu erhärten, eine neue Schule und 
vermeintlich klarere und bessere Ansichten von der Syphilis und ihrer 
Behandlung. Es ist hier nicht der Ort Ricord’s pathologische Ansichten 
einer schärferen Kritik zu unterwerfen*), da wir nur den historischen Gang 
der verschiedenartigen Therapie im Auge haben. Indem Ricord die alte 
Lehre auffrischt, dass hauptsächlich nur der indurirte oder Hunter’sche 
Schanker der echt syphilitische sei, auf den unausbleiblich allgemeine In- 
feclion folge, was selten oder gar nicht von den übrigen nicht indurirten 
Schankerformen gelten soll, so will er den Gebrauch des Quecksilbers nur 
auf ersteren beschränkt wissen; bei allen anderen primären Geschwürsfor- 
men sei es entbehrlich und eher schädlich als nützlich. Ferner ist nach 
ihm bei den nächsten secundären oder allgemeinen Symptomen der Sy- 
philis Quecksilber wieder das Hauptmittel, aber in der gemischten Form 
des Jodquecksilbers, was er vorzugsweise anwendet. Gegen die sog. ter- 
tiären Symptome, worunter er namentlich die Affeelionen der Knochen- 
häute und der Knochen, dersubeutanen, submucösen und fibrösen Gewebe 
begreift, erklärter Jodkali für das Hauptmittel. Diät, Purgir- und Schweiss- 
mittel, so wie die Holztränke hält er nur für zu Zeiten zweckmässige Ad- 
juvantia. Ricord’s pathologische und therapeutische Ansichten haben 
nicht allein in Frankreich viel Anhänger gewonnen, sondern auch in Deutsch- 
land, und gelten bei den meisten jüngeren Aerzien als heiliger Kanon, 
obgleich sie vielen, nur zu gegründeten Ausstellungen Raum geben und 
der Meister selbst sehr wandelbar in seinen Grundsätzen erscheint. 
Behandlung der Syphilis ohne Quecksilber, oder die sog. 
einfache Heilmethode, ihre Vortheile und Nachtheile. 
71. Wir haben gesehen,, dass diese Heilmethode, strenge Diät, 
milde Tränke, Abführungen, Blutentziehungen durch Aderlass und Schröpf- 
köpfe, die erste war, womit die Aerzte zu Ende des 15. Jahrhunderts die 
neue Seuche zu heilen suchten, obgleich sie damals eben keine glänzen- 
den Resultate lieferte. 
Als man in der neuesten Zeit zur einfachen Behandlung der primä- 
ren und secundären Syphilis zurückkehrte, befolgte man im Ganzen die- 
selben Vorschriften, obgleich die englischen Aerzte namentlich bei den 
primären Symptomen wenige oder gar keine Arzneien gaben, und nur bei 
bedeutender Entzündung Blut entzogen und Abführungsmittel gebrauchten. 
*) S. darüber unsere in der Literatur angeführten Schriften über Ricord und seine 
Lehre.
	        
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