Allgemeine Symptomatologie. 159
gesetzten Zustande abwechseln. Die Symptome, die gleichzeitig mit der
Appetitsveränderung vorhanden sind, hängen von dem zu Grunde liegen-
den Krankheitszusiande ab, sehr selten ist die Appelillosigkeit das einzige
krankhafte Symptom. — Die Folgen für den Organismus sind nach dem
Grade des Appetiimangels und dem Vorhandensein anderer Störungen von
verschiedener Bedeutung, sie {reten früher oder später ein. Die mangel-
hafte Ernährung des Blutes und aller Gewebe kann zu verschiedenen
krankhaften Erscheinungen Veranlassung geben und Ursache weiterer
Störungen werden. Schwund des fFett- und Muskelgewebes, Abnahme der
Muskelenergie, psychische Verstiimmung, nervöse Erscheinungen sind die
gewöhnlichsten Folgezusiände, in höheren Graden entwickeln sich die
Symptome der Blulenimischung (hydraemische oder scorbutähnliche), Ma-
rasmus und Hydrops. — In manchen nervösen und psychischen Krank-
heiten (Catalepsie, Melancholie), wird vollkommene Abstinenz oft durch er-
staunlich lange Zeit mit relaliv geringem Nachtheile für den Organismus
ertragen.
8. 43. Die Behandlung der Anorexie muss vorzugsweise eine causale
und diätelische sein. Nur wenn die Ursache entfernt, die zu Grunde lie-
genden Krankheiten zweckmässig behandelt, die Diät und das Regimen
entsprechend geregelt sind, darf man, wenn hierdurch kein Erfolg erzielt
wurde, appelitreizende Mittel aus der Klasse der Tonica, Amara, Aromatiea
anwenden. Wir verweisen in dieser Beziehung, um überflüssige Wieder-
holungen zu vermeiden, auf das bei der Behandlung der Dyspepsie Ge-
sagte, das auch hier seine Geltung hat.
8. 44. 2) Krankhafte Vermehrung des Appetits (Bulimia,
Polyphagia, Fames canina.) Diese im Vergleich zur vorigen ziemlich sel-
tene Krankheitsform besteht in einem übermässigen, die Bedürfnisse des
Organismus übersteigenden Verlangen nach Nahrungsmitteln.
In vielen Fällen ist dieser Zustand ein allmählig durch üble Ge-
wohnheit erworbener, in andern liegen ihm verschiedenarlige krankhafte
Zustände des Organismus zu Grunde, so findet sich derselbe bei Erwei-
terungen des Magens und Hypertrophie seiner Wandungen (manchmal mit
demselben Verhalten des Oesophagus und Darmkanals) bei Magen - und
Darmfisteln, durch welche ein grosser Theil des Speisebreies aus dem Or-
ganismus wieder entfernt wird, bei krankhalten Veränderungen der Schleimhaut
und der Zotten des Darms, der Chylusgefässe und Mesenterialdrüsen durch
welche die Absorption gehindert wird, (namentlich Atrophie dieser Organe nach
Typhus), bei Reizungszuständen des Darmkanals durch Würmer, (vielleicht
auch nur durch abnorme Beschaffenheit der Verdauungssecrete). Ferner
bei manchen Krankheiten des Nervensystems: bei Geisteskranken, beson-
ders Blödsinnigen, bei Epilepsie, Hypochondrie und Hysterie, beim Hydro-
cephalus chronicus und andern chronischen Hirnkrankheiten. Endlich
kömmt übermässige Esslust auch bei Schwangeren und in manchen chro-
nischen Krankkeiten, wie in der Tuberculose und in andern Formen der
Tabescenz, beim Diabeles mellitus vor. Solche Fälle hingegen, wo die,
wenn auch übermässig scheinende Menge von Nahrungsmittel, doch den
gesteigerten Bedürfnissen des Organismus entspricht, wie nach hefligen
körperlichen Anstrengungen, in der Reconvalenz von schweren Krankheiten,
nach bedeutenden Blut- und Säfteverlusten u. s. w. sind nicht hierher zurechnen.
$. 45. Die Gegenstände, die von solchen Kranken für Stillung ihres
Heisshungers benutzt werden, gehören wohl meist der Reihe der Nahrungs-