160 Bamberger, Krankheiten des Digestionstractus.
mittel an, allein es sind auch ziemlich zahlreiche Fälle bekannt, in denen
nicht nur rohe und unzubereitete Nahrungsstoffe, sondern sogar die unver-
daulichsten und sogar eckelerregenden Dinge aller Art (Talgkerzen, Stroh,
Glasscherben, Steine, menschliche Exeremente u. s. w.) in Folge eines
unwiderstehlichen Triebes und einer unsättlichen Begierde in grosser Menge
genossen wurden. Dies findet sich besonders häufig bei Geisteskranken,
während Gaukler und Taschenspieler es durch Uebung zu einer fast un-
begreiflichen Vollkonımenheit bringen, so dass sie nicht nur Steine, son-
dern auch spitze und gefährliche Gegenstände aller Art ohne besonde-
ren Nachtlheil zu verschlucken und wieder durch zu entleeren im
Stande sind. So verschlang ein in Nordamerika beobachteter Künstler die-
ser Art nicht nur eine goldne Uhr mit Kette und Petschaften, sondern so-
gar an einem Tage vierzehn Messerklingen. (Copland.)
$. 46. Die Folgen für den Organismus und die Erscheinungen, die
neben der Polyphagie vorhanden sind, richten sich nach dem Grade und
der Begründung derselben. Ist sie durch schlechte Gewohnheit erworben,
so kann sie wohl lange ohne besondere Nachtheile bestehen, indem wahr-
scheinlich nur ein gewisser Theil der Nahrungsmittel resorbirt wird, und
das Ueberflüssige unbenützt wieder abgeht, allein leicht kann sie zu acu-
ten und chronischen entzündlichen Zuständen der Magen- und Darmschleim-
haut, zu Erweiterung und Hypertrophie des Magens und Darmkanals, viel-
leicht auch zu Krankheiten der Leber und Milz und den weileren Folge-
übeln dieser Zustände führen. Manche Individuen dieser Art sind zum
Fettwerden geneigt, andere hingegen bleiben trotz ihrer erstaunlichen Esslust
mager. Ist die Bulimie Folge der angegebenen Krankheiten, so ist sie in
manchen Fällen andauernd, in andern nur ein vorübergehender oder sich
öfters wiederholender und wieder verschwindender Zustand, wie bei
Schwangeren, Hysterischen, bei Wurmkranken u. s. w. In solchen Fäl-
len sind nebstdem krankhafle Erscheinungen der verschiedensten Art vor-
handen. In manchen Fällen ist die Bulimie mit Ohnmacht, in anderen mit
Erbrechen des Genossenen verbunden (Bulimia syncopalis — emetica, Cul-
len) oder mitreichlichen, stiinkenden Durchfällen, auch Rumination kommt
neben derselben vor. In einigen Fällen empfinden die Kranken ein lästi-
ges oder nagendes Gefühl in der Magengegend. Copland beobachtete
dabei in einigen Fällen einen eigenthümlichen eckelhaften Geruch des
Körpers.
Die Polyphagie kömmt weit häufiger beim männlichen, als beim
weiblichen Geschlechte vor; sie ist auch im kindlichen Alter beobachtet
worden.
$. 47. Von den anatomischen Veränderungen, die man an Kranken
dieser Art gefunden hat, ist es schwer zu sagen, in wie ferne sie als Ur-
sache oder Folge der Krankheit anzusehen oder als zufällige Complieatio-
nen zu betrachten-sind. Am öftesten wurde Erweilung des Magens und
Dünndarms, manchmal auch des ganzen Darmkanals und des Oesophagus,
Hypertrophie, Verdickung, Verhärtung des Magens und der Darmhäule gefun-
den — Zustände, die wohl nur als Folgen der Krankheit zu betrachten sein
dürften. Beclard sah Vergrösserung der Valvulae conniventes Kerkringii, V e-
sal und Bonet sahen den Choledochus sich in den Pylorus münden, Lan-
dr&-Beauvais: Fehlen der Gallenblase. Ausserdem fand man organische
Krankheiten der Leber, Milz, der Mesenterialdrüsen deren Einfluss auf die
Erzeugung der Krankheit schwer abzuschätzen ist.
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