388 Bamberger, Krankheiten des Darmcanals.
bilde Eisenmann’s und Canstatt’s die Ruhr als die Localisation gene-
tisch verschiedener Krankheitsprocesse zu erklären. Kein einziges der
reinen Beobachtung eninommenes Faetum rechtferligt eine solche Annah-
me, denn wenn die Ruhr, die bei jeder möglichen Krankheit als unwill-
kommene Complication erscheinen kann, auch Rheumalische, Typhöse, an
galliger Dyserasie Leidende u. s. f. nicht verschont, so kann man doch
hierin eben so wenig eine Localisation dieser Processe erkennen, als man
diess von der Krätze behaupten könnte, wenn die Dysenterie zufälliger-
weise bei einem krätzkranken Individuum erscheint.
$. 91. Etwas verschieden wäre die Frage, ob die Dysenterie etwa
auf einer quantitativen Veränderung der normalen Blutbestandtheile be-
ruhe, ob ihr zum Beispiel überwiegender Faserstoffreichthum des Bluts
(fibrinöse Crase) zu Grunde liege, wofür die reichlichen faserstoffigen Ex-
sudationen auf der Darmschleimhaut einige Wahrscheinlichkeit geben
könnten. Ich glaube, dass diese Frage wegen Mangel exacter Untersuchun-
gen des Blutes von chemischer Seite vorläufig nicht zu beantworten ist.
Vom klinischen Standpunkte wenigstens müsste dieselbe verneint wer-
den, die Dysenterie kömmt so häufig bei Individuen vor, deren Blulmasse
durch pneumonische, pleuritische Exsudationen, Blutverluste verschiedener
Art an Faserstoff in so hohem Grade verarmt ist, dass man in dem Fa-
serstoffreichihum des Bluts nicht die veranlassende Ursache der Krank-
heit vermuthen kann. =
Keinem Zweifel unterliegt es dagegen, dass es bei der Dysenterie, wie
bei jeder Krankheit, wo es zur Bildung reichlicher Exsudationen kommt,
wie überall, wo die Aufnahme blutbildender Bestandtheile beschränkt oder
aufgehoben, die Secretionen auf mannigfache Weise verändert sind, conse-
quuliv zu wichtigen und auffallenden quantitativen Veränderungen der
Blutmasse komme, die sich besonders als Faserstoffarmuth desselben,
als Eindickung oder überwiegender Wassergehalt desselben kundgeben.
$. 92. Dass es die Krankheit am häufigsten unter dem Einflusse be-
sonderer miasmalischer Verhältnisse entstehe, ist durch vielfache Erfah-
rung sichergestellt, es erklärt sich hieraus, dass sie ziemlich selten Sspo-
radisch, sondern fast gewöhnlich in endemischer oder epidemischer Ver-
breitung erscheint. Ueber die Natur dieses Miasma wissen wir durchaus
nichts Näheres. Williams behauptet, dass es dasselbe sei, welches dem
Intermitiens, den Sumpf- und remitlirenden Fiebern zu Grunde liege
(Malaria). In der That ist ein gewisser Zusammenhang zwischen diesen
Processen nicht in Abrede zu stellen, nicht selten herrschen intermittirende
Fieber und Dysenterie gleichzeitig, oder sie folgen auf einander, an Inter-
mittens reiche Sumpfigegenden sind fast durchgängig wenigstens zu ge-
wissen Jahreszeiten auch den Verheerungen der Dysenlerie ausgesetzt,
mit der Verbesserung der Bodenverhältnisse, der Trockenlegung sumpfiger
Gegenden sollen an manchen Orten beide Krankheitsformen verschwun-
den sein. Doch fehlt es auch nicht an zahlreichen Ausnahmen, und über
die eigentliche Natur des Miasma sind wir dadurch um nichts klarer ge-
worden, wenn wir auch vermuihen, dass es vielleicht dem des Intermit-
tens ähnlich oder verwandt sein dürfte.
S. 93. Ob die Dysenterie contagiös sei oder nieht, ob sich nur auf
der Höhe der Krankheit, bei hefligern Epidemieen ein Contagiüm entwickle,
ob dasselbe nur an die Darmsecreie oder auch an andere Stoffe gebun-
den sei, isi eine vielfach und auf verschiedene Weise beantwortete Frage.