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98 Bamberger, Krankheiten der Mund- und Rachenhöhle.
ANATOMISCHER CHARACTER.
$. 39. Die durch den Reiz der Quecksilberpräparate hervorgebrachte
Entzündung des Mundes unterscheidet sich in ihren anatomischen Merk-
malen durch nichts von den übrigen durch innere oder äussere Ursachen
bedingten Entzündungen, und sie kann unter allen den bereits beschrie-
benen Formen derselben erscheinen. Nach dem verschiedenen Intensi-
tätsgrade der Einwirkung und der Receptivität des Organismus ist die mer-
eurielle Entzündung eine einfach catarrhalische, oder sie erscheint unter
der Form des Croups der Mundhöhle, ganz besonders aber jener Art, die
wir als Diphtheritis beschrieben haben, endlich kann sie unter ungünstigen
Umständen die Charaktere der sphacelösen Zerstörung zeigen. Die anatomi-
schen Veränderungen sind daher in verschiedenen Fällen und den ver-
schiedenen Stadien der Krankheit verschieden, und wir verweisen um
Wiederholungen zu vermeiden auf die bei jenen Formen in anatomischer
Beziehung angegebenen Verhältnisse.
Der Sitz der mercuriellen Stomatilis ist vorzugsweise der vordere
Theil der Mundhöhle, nämlich die Schleimhaut der Lippen und inneren
Wangenfläche, des Zahnfleisches, der Zunge und des Bodens der Mund-
höhle, doch werden in geringerem Grade manchmal auch die Tonsillen
und der Rachen ergriffen. Die Salivation die früher als die hervorragendste
Erscheinung für das Wesentliche der Krankheit angesehen wurde ist nur
ein Symptom derselben, das auch bei allen andern Arten der Stomalitis
vorkömmt, und wenn es auch nicht leicht bei einer derselben jene Höhe
und Dauer erreicht wie bei der mercuriellen, so scheint der Grund davon
wohl zunächst in der bedeutenden Flächenausbreitung und der verhält-
nissmässig langen Dauer dieser Form zu beruhen. Charakteristisch für
die Krankheit ist der leicht nachweisbare Quecksilbergehalt der durch die
Salivalion entleerten Massen. Consensuelle Anschwellung der Speichel-
drüsen kömmt nicht häufiger vor als bei andern Arten der Stomatitis, doch
ist die Vermehrung ihrer Secretion durch den specifischen Reiz des Queck-
silbers von längerer Dauer und scheint besonders in jenen Fällen, wo nach
gehobener Affection der Mundhöhle der Speichelfluss noch fortdauert, die
hauptsächliche Quelle des letzteren zu sein. Das Lockerwerden und Aus-
fallen der Zähne findet in der Auflockerung, Erschlaffung und endlich Zer-
störung des Zahnfleisches seine anatomische Begründung. Der specifische
Geruch, wenn derselbe überhaupt als specifisch anzusehen ist, ist bisher
nicht näher erklärt. (Vorzugsweise scheint sich an demselben nach Klet-
zinsky’s Untersuchungen das durch Zersetzung des Rhodankaliums des
Speichels entstehende Schwefelwasserstoffammoniak zu betheiligen, die
Zersetzung der Exsudate trägt nothwendig dazu das ihrige bei.)
AETIOLOGIE.
$. 40. Die Ursache der Krankheit ist der Gebrauch und Missbrauch
der Mercurialpräparate. Schon J. Frank hat in beherzigenswerthen Wor-
ten sich gegen den unnöthigen Gebrauch derselben erhoben, wo man den-
selben Zweck durch minder gefährliche Mittel erreichen kann. Allein trotz
der Menge der warnenden Beispiele und trotz den Resultaten der Erfah-
rung die täglich beweist, dass das Quecksilber nur gegen eine beschränkte
Anzahl von Krankheitsprocessen eine specifische Wirkung äussert, haben
die ärztlichen Sünden in diesem Puncte, ‘wenn sie auch nicht mehr so
häufig sind als vordem, noch lange nicht ihr Ende erreicht und es gereicht
dem gegenwärtigen Zustande der Heilwissenschaft nicht zur Ehre, dass
die mercurielle Stomalitis als medicamentöse Krankheit noch verhältniss-
ran
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