DIE ST. NIKOLAIKIRCHE
den König veranlaßt haben soll zu äußern: «Ich habe
es gleich gesagt, daß man in einer viereckigen (quadra-
tischen) Kirche nicht hören würde, aber die Herren
haben es besser verstehen wollen. » Ich scheue mich nicht,
Ihnen, verehrtester Herr, diese Mitteilung zu machen,
da mir bekannt ist, wieviel damals darauf ankam, den
Wünschen des Kronprinzen nachzukommen. Nun höre
ich aber tröstlicherweise von Leuten, die am vergan-
genen Sonntage in der Kirche waren, daß man den Red-
ner von der Kanzel überall sehr gut verstanden haben
soll, und gedenke mich nächsten Sonntag selbst da-
von zu überzeugen, um Ihnen das Nähere darüber mit-
teilen zu können. Oder dürften wir vielleicht hoffen, daß
Sie mit Ihrer verehrten Familie den nächsten Sonntag
Ihr gütiges Versprechen zur Ausführung brächten und
sich selbst überzeugten ?»
Am 30. September 1837 hatte Persius einen Brief
Schinkels erhalten, in dem dieser seinen Besuch in Pots-
dam in Aussicht stellte. Er wollte dabei zu guter Letzt
auch noch die Kirche gründlich ansehen und ihre Hör-
barkeit erproben. Am 10. Oktober schreibt der Ober-
baudirektor:
«Der Herr Bürgermeister aus Potsdam ist wegen des
Schalls in der Kirche bei mir gewesen, sodann hat mich in
gleicher Absicht Herr von Humboldt Exzellenz besucht, so
daß ich doch notwendig bald selbst an Ort und Stelle meine
Betrachtungen über den Gegenstand anstellen muß und
deshalb entschlossen bin, am nächsten Sonntag nach Pots-
dam zu kommen, um zwei Predigten, eine womöglich Vor-
mittag, eine Nachmittag zu hören. Mit den Herren Pre-
digern würde ich gern sprechen, wenn dies vorher oder
nachher möglich wäre; denn auf den angenommenen Ton
der Rede, die Stärke, Artikulation, Mäßigkeit, Sonderung
der Worte, Langsamkeit usw. kommt alles dabei an.»
Am 13. Oktober heißt es:
«Wenn ich es irgend möglich machen kann, werde ich
um 6 Uhr früh von Berlin abreisen, um die Vormittags-
predigt um 9 Uhr in Potsdam hören zu können, und werde
nach Ihrer gütigen Anweisung gleich bei der Kirche vor-
fahren und nachher erst in Ihr Haus eintreten. Jedenfalls
müssen wir auf den Dachraum steigen und die Konsiruk-
tion der Kalotte in Betrachtung nehmen. »
Dieser Besuch hat dann am 15. Oktober stattgefunden.
Vom 16. datiert darauf der ausführliche Bericht Schin-
kels, den er sofort ausgearbeitet hatte:
« Bei der am 15. Oktober statigehabten Untersuchung
der neuen St. Nikolai-Kirche in Potsdam in Beziehung
auf den Schall bei der Liturgie und der Kanzelrede habe
ich folgende Bemerkungen gemacht: 1) Die Kanzelrede des
Herrn Predigers Sydow war mir in allen Teilen so ver-
ständlich, daß ich nicht ein Wort davon verloren habe.
Anfangs stand ich der Kanzel ganz nahe, entfernte mich
nach und nach in die entlegensten Teile der unteren Kirche
und vernahm überall die Stimme gut, wenngleich diejenige
Hälfte der Kirche, welche der Kanzel entfernter liegt, in
diesen Vorteilen der anderen Hälfte etwas nachsteht, was
sehr natürlich ist. Nur auf den Emporen fand ich, daß
besonders die entferniere, auf welcher sich der Platz Seiner
Majestät befindet, sowie auf der Orgel die Stimme durch
das Hallen des großen Raumes etwas bedeckt war und
nicht deutlich hervortrat. Aus diesem Grunde würde ich es
für vorteilhaft halten (wenn der Platz Seiner Majestät auf
den Emporen bleiben soll), ihn gegenüber auf die der
Kanzel zunächstliegende Empore zu legen und den Platz
um soviel zu erhöhen, daß man im Sitzen den Kanzel-
redner sehen kann, was bei der breiten Brüstung jetzt nicht
wohl der Fall ist; auf dieser Empore verstand ich die Rede
gleichfalls recht gut.
2) Da auf den Emporen der sehr begreifliche Umstand
eintritt, daß jedes Geräusch in der unten versammelten Ge-
meinde sehr stark und deutlich gehört wird, was im un-
teren Raum nicht der Fall ist, so hat der Hörer auf der
Empore hierdurch schon ein Hindernis mehr, der Kanzel-
rede ununterbrochen zu folgen, und aus diesem Grunde
schon würde ich für den Platz Seiner Majestät die Nähe
der Kanzel im unteren Raum am geeignetsten halten.
3) Es ist sehr genau zu bemerken, daß für den Kanzel-
redner der beste Stand in der Mitte unter dem Baldachin
ist. Jedes zu weite Herauslehnen benimmt dem Ton seine
Konzentrizität und raubt ihm das Artikulierte, er wird von
seiner Entstehung an zu sehr in den großen Luftraum zer-
streut.
4) Bei der Sprache des Redners kommt es vorzüglich
darauf an, daß die Stimme gemäßigt bleibe, die Worte
möglichst getrennt werden und die Aussprache scharf ar-
tikuliert sei. Kann der Redner den eigentlichen Sprachton
halten und jede Art Gesangton fortlassen, so wird es am
vorteilhaftesten sein. Haben mehrere Worte hintereinander
einen Ton, den man auf einem Musikinstrumente anzu-
geben imstande ist, so klingt derselbe oder der ihm harmo-
nisch verwandte Ton an den Mauern und Gewölben des
Gebäudes wieder und verwirrt natürlich die Rede. Es wird
deshalb ratsam, die ganze Rede womöglich in etwas tieferem
Ton zu sprechen und aus der Diskant-Region in die des
Tenors überzugehen; denn die tieferen Töne gelangen nicht
mit solcher Energie an die resonierenden Flächen des Rau-
mes, um dort große Wirkung zu erzeugen und durch Hallen
die Rede zu verwirren.
5) Die Stimme des Herrn Ober- Predigers Ebert vor dem
Altare beim Abhalten der Liturgie zeigte etwas zuviel von
dem oben erwähnten hohen Gesangton und war mir in den
meisten Teilen nicht verständlich; dies war um so mehr der
Fall, je lauter und stärker die Sprache gehalten wurde. Bei
allen großen und tönenden Räumen ist es allgemein be-
kannt, daß die Deutlichkeit der Sprache nur durch größte
Mäßigkeit erlangt wird, und in solchen Gebäuden gibt es
gewisse Punkte, wie ebenfalls in der St. Nikolaikirche, wo
man nur, wenn man ganz leise gegen die Wand spricht, im
entferntesten, entgegengesetzten Punkte des Gebäudes, aber
dann auch ganz deutlich, verstanden wird. In einer Kirche
wo nun ohnehin schon immer die größte Stille herrscht, ist
den Herren Rednern anzuempfehlen, eher zu leise als zu
laut zu sprechen, die Nüancen der Deklamation einer Rede
verlieren dadurch keineswegs, wenn die Steigerungen und
Verminderungen in dem gehörigen Verhältnis bleiben, und
ich glaube, daß die religiöse Rede einen Charakter feier-
licher Würde dadurch erhält, wodurch sie von einer Rede
für weltliche Zwecke sich angemessen unterschiede. Die
Ausbreitung einer wollenen Decke zirka in zehn Fuß Breite
49