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DIE ST. NIKOLAIKIRCHE
um den Altar möchte der Stimme vielleicht schon die
Schärfe benehmen, welche durch den Widerklang an
Mauern und Gewölben das verwirrende Tönen erzeugt.
6) In architektonischer Hinsicht gibt es wohl kein siche-
res Mitiel, durch Änderung der Formen in einem so be-
deutend großen Gebäude für alle Arten und Weisen der
Schallproduktion so gesichert zu sein, daß jeder individuelle
Wunsch befriedigt würde. Diese Formen sind im Verlaufe
der Jahrhunderte nach und nach so fest bestimmt worden,
daß, wollte man zu Gunsten unsrer noch sehr mangelhaften
Wissenschaft der Akustik davon abweichen, man in un-
gleich größere Verstöße in anderer Beziehung fallen würde,
ohne einmal die Sicherheit zu haben, das Bezweckte zu er-
reichen. Es wird also im ganzen in dem vorliegenden Falle
wohl dabei bleiben, wie es in früheren Zeiten bei solchen
Unternehmungen gehalten wurde: daß die lebendige bieg-
same Menschenmasse sich nach und nach in den Charakter
eines neuen großen Bauwerks hineingewöhnt, ihm seine
Eigentümlichkeiten abgewinnt und daraus die Mittel ab-
strahiert, wie man es am vorieilhaftesten zu behandeln
habe, um darinnen seine Zwecke zu erreichen. In Bezie-
hung dessen, was man für das Hören unternimmt, hat dies
eine besondere Anwendung, und in der menschlichen Stimme
ist eine unendliche Abwechselung gegründet, die, mit dem
freien Willen und der wahren Einsicht benutzt, beinah
keinen Fall denken läßt, wo nicht ein richtig angepaßtes
Verhältnis zum Zwecke führen sollte.
7) Wollte man versuchsweise einige nicht kostspielige
Vorrichtungen in der St. Nikolai-Kirche anwenden, die
vielleicht einige Vorteile herbeiführen könnten, so wären dies
folgende: a) Das Heben der mittleren runden Vertiefung
in der flachen Kuppel von etwa 6 Zoll, so daß die Luft
durch den entstehenden Zwischenraum streifen kann und
das Kontinuieren der Kalotte aufgehoben oder unter-
brochen würde. b) Das Auslegen des Fußbodens und der
inneren Wände der Kanzel mit einem weichen Zeuge.
c) Das Belegen des steinernen Fußbodens zunächst um
die Kanzel mit grobem Tuche. d) Das Öffnen der gegen-
überliegenden Fensierflügel in den beiden großen Halb-
kreisfenstern der Kirche, so daß ein Zug in der oberen
Region entsteht, der dem Raum der Zuhörer nicht nach-
teilig werden kann. e) Die Ausbreitung einer weichen
Decke um den Altar, wie oben angeführt ist.
Die Wirkungen dieser Anordnungen sind gelegentlich und
leicht zu beobachten, jedenfalls bemerke ich aber, daß die
weiter oben angedeuteten Maßregeln für die Sprache selbst
am wirksamsten sich zeigen werden und, mit einiger Umsicht
angewandt, gewiß zu völliger Genugtuung führen werden.»
Mit diesen Gutachten des leitenden Baumeisters wa-
ren einer Verbesserung zunächst die Wege gewiesen.
In einem Schreiben an Persius vom 17. Oktober
schickte er ihm in der Anlage den großen Bericht vom
16. mit:
«An mein Versprechen in Beziehung der Notizen über
den Schall der Kirche habe ich auch sogleich gedacht und
sende Ihnen hierbei ein kleines Skriptum, ich habe auch mit
dem Herrn Oberbürgermeister Stöpel schon darüber ge-
sprochen, der sehr zufrieden schien, daß diese Sache mit so
wenigem abzutun sei, und beherzigte die Meinung, daß die
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Behandlung der Stimme das Wichtigste dabei bleibe. Herrn
von Humboldt habe ich noch nicht gesprochen, ich werde
aber sehr gern Ihre Mitteilungen darüber erfahren, was die
Aussage der Herrn Abgeordneien des Königs auf Seine
Majestät für Wirkung gemacht habe. Herr Bischof Eylert
wird Ihnen gewiß die Wahrheit berichten, den General
Brauchitsch werden Sie wohl nicht sprechen, sonst wäre
es gut, auch von einem Zweiten zu hören, was für Wir-
kung die allgemein so gut verstandene Rede des Herrn
Predigers Sydow auch bei Seiner Majestät gemacht hat.»
Der am 23. Oktober von Persius vollendete Bericht
«Als ich Ihre Nach-
richt erhalten hatte, worin Sie mit so schönen Gedanken
enthält folgende Feststellungen:
den Gegenstand so klar und überzeugend dargelegt
haben, ging ich sogleich zum Herrn Bischof Eylert,
der den Aufsatz mit vielem Wohlgefallen anhörte,
da er dessen Ansichten bestärkte, daß die richtige
Behandlung der Sprache das wirksamste Mittel sei,
in einem großen Gebäude verstanden zu werden. Auch
hatte ich Gelegenheit zu bemerken, wie eine wohl-
begründete Abneigung gegen die Eigenschaften des
Predigers Ebert seine Absicht, die Sache Seiner Ma-
jestät mit der gebührenden Offenheit vorzutragen,
bestärke.
Gleich darauf bot sich mir eine passende Gelegenheit
dar, den Herrn General von Brauchitsch zu sprechen.
Aucherversicherte,SeinerMajestät den günstigstenBericht
erteilen zu müssen. Am andern Tage sprach ich auch
Herrn von Humboldt, der Ihren Aufsatz noch nicht
kannte, der aber zu meiner Überraschung auf die ihm eigne
eigentümliche geistreiche Weise den Gegenstand ganz so
entwickelte, wie das von einem höheren Standpunkte
würdig geschehen kann. Er sagte mir auch, daß der Herr
General v. Brauchitsch bereits bei der letzten Mittags-
tafelSeiner Majestät sehr klar und verständlich Bericht ab-
gestattet habe, was Seine Majestät mit Wohlgefallen ver-
nommen und geäußert hätten, das wäre ihm allerdings
mißfällig gewesen, daß der Prediger Ebert so geschrien
hätte. Herr von Humboldt schilderte bei dieser Gelegen-
heit die Eigentümlichkeiten des Königs und bemerkte,
wie es nunmehr rätlich sei, gegen Allerhöchstdenselben
den Gegenstand nicht ferner gesprächsweise zu erwähnen
und trug mir auf, Ihren Aufsatz dem Herrn Geheimrat
Müller einzuhändigen, damit derselbe Seiner Majestätamt-
lich darüber Vortrag halten könne. Das ist nun gestern
früh geschehen, und in Folge dessen hat mir Herr
Müller mitgeteilt, wie Seine Majestät es bewillige, daß die
von Ihnen in Vorschlag gebrachten kleinen Änderungen
ausgeführt werden sollten, ohne daß Sich jedoch der
König über Seinen Platz in der Kirche geäußert hätten.
Hierzu habe ich heute sogleich die nötigen Vorkehrungen
getroffen. Noch darfich nicht unerwähnt lassen, daß ich
die Äußerung des Herrn v. Humboldt, wie es rätlich sei,
gegen Seine Majestät den Gegenstand einstweilen uner-
wähnt zu lassen, dem Herrn Bischof sofort schriftlich
mitgeteilt hatte.
Wie mich der Herr Bischof, der am Sonnabend gleich
von der Tafel des Königs zu mir kam, versichert, sei es
seine Absicht gewesen, darauf zu achten; doch habe sich
das Gespräch mit dem Könige von selbst darauf hinge-