120 Abyſſinien
Chriſtenthum, das bei ihnen ſeit 330 dur<h Frumentius und Aedeſius eingeführt ward, breitete
fich bald über ganz A. aus. Unter den axumitiſchen Herrſchern erreichte A. ſeinen höchſten
Glanz, der jedoch dur<h das Umſichgreifen des Islam wieder fein Ende fand. Es begannen
die jahrhundertelangen Kämpfe mit den Mohammedanern, welche bedeutende Gebietsverluſte
zur Folge hatten und das Reich, deſſen Hauptſtadt inzwiſchen von Axum nach Gondar verlegt
worden, im Innern erſchütterten und ſhwächten. Noch nachtheiliger wurden für das bereits
auf das Hochland beſchränkte Reich, deſſen Fürſten ſeit Ende des 13. Zahrh. den Titel Neguſa
Neguſt Saitiopha (d. i. König der Könige Aethiopiens) führten, die im 16. Jahrh. beginnen-
den Einfälle der Galla, welche die furhtbarſten Verwüſtungen anvichteten, fid) inmitten der
hriftl. Bevölferung feftfegten und dieſe dadurch in immer größere Barbarei zurü>warfen. Mit
Europa hatten die abyſſin. Herrſcher ſeit den Kreuzzügen immer in einiger Verbindung ge-
ſtanden und wol zum Entſtehen der Sage vom Prieſter Johannes (\. d.) Veranlaſſung gegeben;
in nähere Berührung kamen ſie jedoh ſeit Ende des 15. Jahrh. mit Portugal. Hierdurch
wurde die röm. Curie auf den Gedanken gebracht, A. für den Katholicismus zu gewinnen,
Den vereinigten Bemühungen der Portugieſen und Jeſuiten, welche erſtere dem abyſſin. Reiche
große Dienſte in den Kriegen mit den Mohammedanern und den Galla geleiſtet hatten, gelang
es auh wirklich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., großen Einfluß in A. zu erhalten. Die
Königsfamilie wurde 1603 zum Katholicismus bekehrt und eine Union der alten Landeskirche
mit der kath. zu Stande gebracht. Die Folge von dieſem Schritte waren innere Kämpſe, da
das Volk von ſeinem alten Glauben nicht laſſen mochte, und erſt als der Negus Socinius ſich
von Rom abgewandt und die kath. Prieſter 1632 vertrieben oder hingerichtet hatte, gelangte
das Land wieder zu einiger Ruhe. Bei der Schwäche der Dynaſtie, der Demoraliſation des
Volks und der Verkommenheit der Geiſtlichkeit war jedoch der Friede niht von Dauer. Be-
ſonders ſeit der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. herrſchte die \hre>li<ſe Anarchie im Lande,
indem der Negus keinen Gehorſam mehr fand bei den Râs oder Statthaltern der einzelnen
Provinzen, die ſich gegenſeitig befehdeten, ſich den Königstitel beilegten und nur, weil es ſo
hergebracht, die äußere Würde des Negus fortbeſtehen ließen. A. zerfiel hierdur< in eine
Anzahl größerer und kleinerer Staaten, die factiſch unabhängig waren.
Die bedeutendſten und bekannteſten dieſer Staaten ſind Tigre (f. d.), Amhara (\. d.) oder
Gondar und Schoa (f. d.). Dazu kommen noh im unerforſhten Süden Enarea (ÎInarea),
Kafa, Gurâgue, Wollamo und Kambwät. In Tigre herrſchte der König Ubié, in Amhara
Ras At, in Schoa Sahala-Salaſſi, als um das I. 1850 zwei Vaſallen Râs Ali's, Burn-
Guſchu in Godſcham und Dedſchodſchi Käſa im weſtl. Theile Amharas, gegen ihren Dber-
herrn aufſtanden. Anſänglih gelang es Râs Ali, den Burn -Guſchu zu beſhwichtigen und
ſogar zur Bekämpfung des bei weitem gefährlichern Rebellen Käſa zu bewegen. Beide jedoch
unterlagen 1852 dem thatfräftigen Käfa, welcher endlich feinen bisherigen Gebieter, den Nas
Ali, zur Flucht nah Godſcham und den Gallaländern zwang. Káſa war es ſomit gelungen,
das centrale und ſüdl. A. unter ſeiner Herrſchaft zu vereinigen. Eiferſucht und Furcht vor
Káſa's wachſender Macht hielten indeß Ubié und deſſen Genoſſen in ſteter Beſorgniß. Um
den Fortſchritten Käſa's ein Gegengewicht zu ſtellen, entſchloß man ſih, aus dem in Dunkel-
heit lebenden Herrſcherhauſe der alten Negus wieder ein gemeinſames Oberhaupt zu erwählen.
Kâſa war jedoch entſchloſſen, dieſem Schritte zuvorzukommen. Er zog im Nov. 1853 mit
einem großen Heere gegen Ubié, wurde aber wiederholt geſhlagen und mußte ſich zurücdziehen.
Es verſammelte ſih nun ein Congreß der Fürſten und Großen, der unter dem Vorſitze des
Abuna Salama, des oberſten Biſchofs des Landes, die Wahl eines Oberherrn vornehmen
ſollte. Káſa wußte dieſen Congreß einzuſchüchtern, auc den Einfluß des ihm feindlichen Abuna
zu beſeitigen, und es blieb der Verſammlung zuletzt nichts übrig, als ſich gegen Ende 1854 für
die Wahl Käſa's zum Oberkönig oder Kaiſer zu entſcheiden. Nachdem Käſa noch 9. Febr. 1855
ſeinen mächtigſten Gegner, den Ubié, in offener Feldſchlacht beſiegt und gefangen genommen,
ließ ex ſich ſofort in Debr-Efi als Herrſcher von Aethiopien (Geſammtabyſſinien) krönen und
nahm hierbei den Titel Kaiſer Theodor I. (f. d.) at. In der Abſicht, das alte äthiop. Reich in
ſeinen Grenzen wieder aufzurichten, benutzte er 1856 die feit dem Tode Heilu = Melofot’s,
des Sohnes des Sahala-Salaffi, in Schoa herrſchende Anarchie zur Unterwerfung auch dieſes
Theils von A. Obgleich Kaiſer Theodor ſeitdem wiederholt mit gefährlichen Aufſtänden fäm-
ofen mußte, ſo hat er doch ſeine Herrſchaft über ganz A. bis zum Abai zu behaupten gewußt.
Da derſelbe in der europ. Cultur ſeine Stütze ſucht, ſo find feit feiner Regierung mancherlei
Hinderniſſe für den Verkehr mit den Europäern in Wegfall gekommen.