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Adel 201
(1852) u. a. Gegen die Anwendbarkeit der engl. Adelseinrichtung auf Deutſchland ſprachen
ſich namentlih aus: Zimmermann, « Die Vortrefflichkeit der conſtitutionellen Monarchie für
England und ihre Unbrauchbarkeit ſür die Länder des Continents» (Hannov. 1852), und der
Fürſt von Leiningen in einem Artikel der «Alg. Zeitung» (1852, Nr. 62). Eine Entgegnung
auf dieſen Artikel, « von einem deutſchen Staatsmanne » (ebendaſelbſt Nr. 70), erklärte eine
ſtarke und lebensfähige Erbpairie auh in Deutſchland für möglich, wenn nicht in den Einzel-
ſtaaten, fo doch in einem einheitlih und conſtitutionell organiſirten deutſchen Geſammt- oder
Bundesftaat, jedoch ohne nähere Angabe, wie ſolche zu denken ſei. Eine Rückbildung der durch
Auflöſung des Reichs ſouverän gewordenen und 1815 ſouverän gebliebenen gegenwärtigen
Landesherren in bloße «Pairs des Reichs », « Neichsſtände », was ſie ehedem waren, empfahl
{hon E. M. Arndt im lezten Theil ſeines « Geiſt der Zeit » (1814). Der von Dahlmann
1848 ausgearbeitete ſogenannte «Entwurf der 17 Vertrauensmänner» zu einer Reichsverfaſ-
ſung dachte ſich die deutſchen Fürſten, jedoch unbeſchadet der Fortdauer ihrer Landeshoheit (die
ſie ja allerdings auch im ehemaligen Reiche factiſch und ſeit dem Weſtfäliſchen Frieden ſogar
im weſentlichen geſeblich beſaßen), als Mitglieder eines Oberhauſes, in welchem außerdem auch
noch andere Elemente, namentlich die Mediatiſirten, Plag finden ſollten. y
Alle Plane einer Adelsreform, auch die aufrichtigft gemeinten und ſcharfſinnigſt berechne-
ten, begegnen zunächſt der großen Schwierigkeit, daß ſie etwas auf dem Papiere ſchaffen und
ins Leben überführen wollen, was, um wahrhaft lebensfähig zu ſein, ſich von ſelbſt, im natür-
lichen Gang der Geſchichte, entwi>elt haben muß. Das iſt der wichtige, durh nichts ſo leicht
zu exſeßende Vorzug des engl. hohen A., daß er ſo eng mit der Geſchichte des Landes und
ganz beſonders mit der Geſchichte der Vollsfreiheiten verwachſen iſt, daß er von früheſter Zeit
an, in rihtiger Erkenntniß ſeiner wahren Intereſſen, ſih zum Führer und Vorkämpfer der
Nation in der Erringung, Behauptung und allmählichen Fortbildung der nothwendigen Volks-
und Verfaſſungsrechte, zum Vertreter nicht eines einſeitig conſervativen Princips, ſondern eines
Princips vernünſtigen Fortſchritts gemacht hat. Dies bezeugt noh in neuerer Zeit die von
einem der erſten Häupter des hohen A., dem Herzog von Wellington, durchgeführte Katholiken-
emancipation (1829), die ebenfalls von Gliedern deſſelben Standes, dem Grafen Grey und
dem Lord John Ruſſell, unter Beiſtand ſeines Bruders, des mächtigen Herzogs von Bedford,
dem widerſtrebenden Theile der Ariftofratie abgerungene Neformbill (1832), neuerdings wieder
die zum großen Theil von Häuptern des A., unter andern dem ſtreng confervativen Grafen
Derby, mit ausgegangenen oder doc, Fräftig unterftügten Veranſtaltungen zum Wohle der
untern Klaſſen. Hielte der engl. A. (unangeſehen ſeiner Parteiſtellung ob Tory, ob Whig)
niht an den Grundlagen der Verfaſſung und an den althergebrachten Freiheiten des Landes,
ganz beſonders jenen, welche die Gleichheit aller vor dem Geſet und die Unterordnung aller,
ohne Anſehen der Perſon, unter das Geſe feſtſtellen, unverbrüchlich feſt, und betrachtete er
niht jeden Gedanken nicht blos einer gewaltſamen Aenderung, ſondern auh einer geheimen
Untergrabung dieſer Grundlagen wie einen unerhörten Frevel und eine unehrenhafte Selbſt-
entwürdigung, deren ſich jeder Gentleman, geſchweige ein geborener Wächter der Geſetze des
Landes, ein Peer von England, aufs tieffte fchämen müßte: wäre dem nicht fo, weder der um-
geheuere Reichthum noch die Geſchloſſenheit der Güter und das Erſtgeburtsreht würden die
engl. Pairie zu einem ſolhen Grade von Macht und Anſehen erhoben, noh weniger fie gegen
die auflöſenden, jeder ariſtokratiſchen Bevorzugung widerſtrebenden Tendenzen der Neuzeit zu
hüten vermocht haben.
Der deutſche A. hat nur zu ſehr verſäumt, fi), gleich dem engl. , dur Verdienſte um
das Gemeinweſen und die allgemeine Freiheit eine feſte, geachtete polit. Stellung und ein be-
gründetes Anſehen beim Volke zu erwerben. Ob dieſe Verſäumniß nachzuholen, ſteht dahin.
Sicherlich iſt der Gebrauch, den der A, ſeiner Mehrzahl nah im preuß. Herrenhaufe und in
andern deutſchen Landesvertretungen von den ihm eingeräumten polit. Rechten gemacht, nicht
von der Art, um das tieſgewurzelte Vorurtheil gegen ihn zu entkräften- oder gar in das Gegen-
theil umzuwandeln. Vielleicht wäre noh immer dazu Zeit, wofern ſich nur eine namhafte An-
zahl Adelicher fände, die ehrlich und ohne Heuchelei, beſonnen , aber zugleich entfchieden, der
Sache des Rechts, der Freiheit und eines vernünftigen Fortſchritts ihre Kraft und das Ge-
wicht ihres geſellſchaftlichen Einfluſſes leihen möchten, Die Beiſpiele ſolcher Hingebung finden
fich viel-zu vereinzelt, als daß ſie für den Stand im allgemeinen einen Ausſ\chlag in der öffent-
lichen Meinung geben fünnten. Mit jedem Jahre auh wird ein ſolcher Verſuch fehwieriger,
denn der demokratiſche Geiſt der Zeit nimmt unaufhaltſam in demſelben Maße zu, als die