Full text: A bis Arad (Band 1)

202 Adel 
ariſtokratiſchen Elemente durch ein einſeitiges, unzeitgemäßes Verhalten ſich ſelbſt in der öffent- 
lichen Meinung, auch der Beſonnenern und Gemäßigtern, immer rettungsloſer zu Grunde 
rihten. Dazu kommt, daß manche der engl. Adelseinrihtungen, wie Majorate mit ſtreng: 
geſchloſſenem, unveräußerlihem Grundbeſitz, den heutigen rechtlichen, ſittlichen und volkswirth- 
ſchaftlichen Anſchauungen allzu ſehr widerſtreiten, als daß nicht ihre Einführung auf lebhaften 
Widerſpruch von den verſchiedenſten Seiten her ſtoßen ſollte. Es iſt ein großer Unterſchied, ob 
etwas dieſer Art ſeit Jahrhunderten beſteht, oder ob es, von ganz anders gearteten Zuſtänden 
aus, erſt jet geſchaffen werden foll. Der polit. Nutzen der ganzen Reform miißte mindeſtens 
ein ſchlechterdings augenfälliger fein, um einen folchen Widerfpruch zum Schweigen zu bringen. 
Ob überhaupt zum Beſtehen eines wohlgeordneten, gedeihlichen Staats- und Geſellſchafts- 
weſens ein Erbadel nothwendig, unentbehrlich ſei, ift eine viel und oft erörterte Frage. Von 
den myſtiſch-theokratiſhen Ideen eines Haller, Bonald, Lemaiſtre u. a. aus der Neſtaurations- 
zeit, welche den A., gleich dem Königthum, für eine «göttliche Einſezung» erklärten, ſowie von 
den «chriſtlih-germaniſchen» Anſchauungen unſerer heutigen Feudalen, deren Ideal jene Zeit 
iſt, wo der Ritter auf ſeinem Dominium nahezu ſo ſouverän war wie der Landesherr, unbe- 
ſchvänkter Herr über ſeine beinahe rehtloſen Gutsunterthanen: von allen derartigen, durch die 
Wiſſenſchaft der Geſchichte, des Staatsrechts, der Volkswirthſchaftslehre längſt gerichteten An- 
ſichten müſſen wir dabei freilih von vornherein abſehen. Ferner muß man fich hüten, den 
Begriff «Adel» für ſchlechthin gleichbedeutend zu nehmen mit dem Begriff «Ariſtokratie». Man 
kann ein ariſtokratiſches Element im Staate für nöthig halten und die Herſtellung eines ſolchen 
im Geſammtorganismus des Staats betreiben, ohne deshalb zum Träger deſſelben gerade den 
Geburtsadel zu machen. Als 1830 der belgiſche Congreß die künftige Verfaſſung des jungen 
Staats berieth, kam man raſch überein, daß die Vertretung einen ariſtokratiſchen oder conſer- 
vativen Zufag haben müffe, und fchuf deshalb einen Senat; allein nicht Eine Stimme erhob 
jich für die Bildung diefes Senats aus adelichen Beftandtheilen, obſchon in Belgien der A. 
von jeher eine ziemlich populäre Nolle geſpielt und auch bei der Revolution von 1830 fich 
theilweiſe ſehr wa>er hervorgethan hatte. Allerdings jigen im belg. Senate auh manche Trä- 
ger adelicher, zum Theil geſchichtlih berühmter Namen, aber nicht als ſolche, nicht kraft eines 
beſondern Vorrechts, ſondern dur das Vertrauen und die Wahl ihrer Mitbürger. Der belg. 
Senat aber hat in der Zeit ſeines Beſtehens ſeine Beſtimmung befriedigend erfüllt und die 
öffentliche Meinung weder eine Beſeitigung noh eine Umänderung deſſelben verlangt. 
Scheint es hiernach, als ſei bei den heutigen Culturverhältniſſen die Möglichkeit gegeben, 
ein ariſtofratiſches oder conſervatives Element im Staate, ſoweit ein ſolches nothwendig, auch 
auf andere Weife als durch Errichtung eines befondern, bevorrechteten Standes herzuſtellen, 
fo iſt andererſeits, im Hinbli> auf die Geſchichte unſers deutſchen A., die Frage wohlberechtigt: 
ob gerade der A. zur Vertretung einer wahrhaft conſervativen Richtung am geeignetſten fer? 
Denn daß dasjenige, was ein großer Theil unſers A. « conſervativ » nennt, und was er als 
ſeine Domäne, gewiſſermaßen als ſein Monopol anſicht, das Gegentheil des wahren Conſer- 
vatismus iſt, hat die Geſchichte der lezten zwanzig bis dreißig Jahre vollgültig entſchieden, 
Die Geſchichte hat gezeigt, daß das bloße ſtarre Feſthalten an Zuſtänden, die ſich überlebt 
haben, vollends das Zuriigreifen auf ſolche, die längſt beſeitigt waren, eine nachhaltig ge- 
junde Entwidelung des Staatslebens nicht zu erzeugen, die natürliche Vorwärtsbewegung der 
Menſchheit nicht, wie dies die Aufgabe eines wirklich «confervativen» Elements iſt, mäßigend 
zu leiten vermag, vielmehr ſolche, durch künſtlihe Stauung im Augenblid, nur zu einer inten- 
fivern, zugleich Heftigern und gewaltfamern macht. Abgefehen aber von dieſer ſchiefen Stellung, 
welche thatfächlich unſer heutiger A., oder doh ein großer Theil davon, fich zu der Zeit- 
ſtrömung gegeben hat, bieten auh die gegebenen Elemente des A. überhaupt, als einer gefell- 
Ihaftlichen Einrichtung, wie ſie gegenwärtig vorliegen, für die Hebung eines mäßigenden Ein- 
fluſſes auf die Entwickelung der ſtaatlichen Verhältniſſe (alſo für eine conſervative Wirkſamkeit 
im guten Sinne) nur unzureichende Garantien. Daß das bloße Wörtchen «von» es nicht 
thue, liegt auf der Hand. Der Grundbeſitz, auch der große, iſt kein ſpecifiſhes Unterſcheidungs- 
merkmal des A. mehr, und will man ihn wieder zu einem folchen machen durch Herftellung 
«ritterſchaftlicher » Vorrechte, fo ift dies, wie ſhon bemerkt, ganz gewiß niht der Weg, um 
den Inhabern eines ſolchen Grundbeſizes das zu einem leitenden Einfluſſe nöthige Vertrauen 
im Volke zu verſchaffen. Um dieſes zu beſitzen und dadur<h mäßigend auf die Bewegung der 
Zeit, wo ſolches nöthig, wirken zu können, müßte der deutſche A. eben ein ganz anderer ſein, 
als er iſt und als er ſo leiht werden kann, nämlih ein wirklich polit, Inſtitut wie die engl. 
      
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
  
    
    
  
  
   
    
   
  
  
   
  
  
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