Aegypten (neuere und neueſte Geſchichte)
Seite trat. Um die Mittel für dieſe gewaltſame Machtentfaltung zu gewinnen, ſah ſich der
Paſcha genöthigt, einerfeits den Aderbau und die materielle Cultur des Landes dur<h Maß-
regeln europ. Civiliſation zu heben, während er andererſeits gegen ſeine Unterthanen ein Aus:
ſaugungs- und Bedrückungsſyſtem verfolgte, das jeder Civiliſation Hohn ſprah. Man kann
behaupten, daß die Politik Mehemed-Ali's darauf hinauslief, den orient. Despotismus durch
die Anwendung europ. Culturmittel auf das höchſte zu ſteigern. Schon bald nah der Aus-
rottung der Mamluken hatte der Paſcha das Grundeigenthum ſämmtlicher Moſcheen und
frommen Stiftungen (Wakuf) ſowie die Beſißungen ſämmtlicher Erbpächter oder Multezims
eingezogen. Hierbei blieb er indeß niht ſtehen, ſondern er erfand Mittel, um den größern
Theil des Grund und Bodens in ſeinen Privatbeſitz zu bringen, ein Verhältniß, das in ſolcher
Ausdehnung ſelbſt unter der Mamlukenherrſchaft niht beſtanden hatte. Der Bauer wurde
überdies gezwungen, den Ertrag ſeines Feldes dem Paſcha zu willkürlich feitgefegten Preifen
zu verkaufen, mußte aber auch ſeine Bedürfniſſe von dieſem entnehmen, Dem zur Seite ging
ein raffinirtes Steuerſyſtem, das den Bauer auch um den Reſt ſeiner Habe brachte, und die
Nekrutirung , welche die Bevölkerung ſchre>te und ſchwächte. Dagegen ſuchte Mehemed - Ali,
gemäß ferner Politik, durch Kanalifirungen und ausgedehnte Dammbauten im Delta das unter
den Mamluken verfallene Bewäſſerungsſyſtem großartig zu verbeſſern, ſodaß das anbaufähige
Land ſehr bedeutend ſtieg. Auch brachte der Paſcha einige höchſt wichtige Culturen, insbeſon-
dere die Baumwolle, in Aufnahme. Doch alles dies förderte das Wohl des Volks ebenſo wenig
wie die Einführung einer Fabrikinduſtrie, deren einziger Inhaber der Paſcha blieb und wobei
ihm die Eingeborenen nur als Fabrikſklaven dienten. Während er Landſtraßen und andere
große Bauten errichtete und die öffentliche Sicherheit in nie dageweſenem Grade herſtellte, er-
drückte er zugleich den Handel mit Arabien und Oſtindien dur<h monopoliſtiſhe Maßregeln,
ja würdigte ſich ſogar zum Sklavenhändler herab. Die Lehranſtalten, die er durch Ausländer
gründete, und die Sendung junger Aegypter zur Ausbildung nah Europa brachten dem Lande
faum einen Gewinn, da es hierbei niht auf Volksbildung, ſondern auf die Abrichtung von
Regierungswerkzeugen und Militärs abgefehen war. Selbjt die Errichtung der Druderei zu
Bulak, die Herausgabe einer Zeitung, die Ausarbeitung eines Civilgeſeßbuhs nah franz.
Mufter, eine neue Eintheilung des Landes, der VBerfuch von Provinzial= und Centralverſamm-
[ungen u. f. w., alles dies kam nicht dem in Elend verſunkenen Volke zugute, war vielmehr
auf die Durchführung despotifcher Zwede oder gar auf Täufchung des Auslandes berechnet.
Eine Menge eucop., meift franz. Projectmacher, die den Paſcha umſchwärmten, trugen von
dieſen künſtlichen Schöpfungen den Vortheil davon.
Mehemed-Ali erhielt 1824 von der Pforte den Auftrag, das aufgeſtandene Griechenland
zu unterwerfen. Er ſandte ſeinen Sohn Ibrahim mit bedeutender Macht-ab, der den Pelo-
ponnes verwüſtete, bis die Schlacht von Navarin ſowol der ägypt, Floite wie dem Kampfe
ein Ende bereitete. Für ſeine Dienſte waren dem Paſcha die ſyriſchen Diſtricte von Acca ver-
fprochen worden, aber der Sultan hielt nicht Wort , ſondern gab ihm nur die Inſel Candia,
Mehemed-Ali benutzte indeß ſeine Händel mit Abdallah-Paſcha von Acca, um Syrien, dieſes
Bollwerk von A., der ſchwachen Pforte zu entreißen und möglicherweiſe ein unabhängiges
Reich zu ſtiften. Ibrahim-Paſcha rü>te im Dec. 1831 an der Spige von 60000 Aegyptern
in Syrien ein, nahm 27. Mai 1832 Acca mit Sturm und bemächtigte ſih im raſchen Laufe
der ganzen Provinz. Infolge der Intervention der Mächte ſah ſih jedoh Mehemed-Ali zum
Frieden von Kiutahia (4. Mai 1833) genöthigt, durch den er zwar nicht unabhängig wurde,
aber doch die Statthalterfchaft von Syrien erhielt. Diefes fiir ihn vortheilhafte Abkommen
war großentheils ein Werk der franz. Politik, und die Engländer, die ſowol die wachſende
Macht des Paſchas wie den Einfluß Frankreichs in de: orient. Angelegenheiten fürchteten,
ſuchten die Pforte alsbald zur Erneuerung des Kriegs gegen den mächtigen Vaſallen zu be-
wegen. So kam es kurz vor Sultan Mahmud's Il. Tode abermals zum Kampfe, in, welchem
24. Juni 1839 das türk, Heer bei Niſib geſhlagen wurde, und bald darauf ging fogar die
türk. Flotte zu der ägyptiſchen über. Jetzt ſchien Mehemed-Ali am Ziele ſeiner Beſtrebungen,
allein Rußland und England, in deren Intereſſe es lag, die Auflöſung des türk. Reichs uud
das Emporkommen eines ägypt. Herrſcherthums zu hindern, brachten mit Preußen und ODeſter-
reih die Quadrupleallianz vom 15. Juli 1840 zu Stande, durch welche ſich dieſe Mächte
zum Einſchreiten gegen den Paſcha verpflichteten. Die Abſonderung Frankreichs und deſſen
dem Paſcha günſtige Politik bedrohten Europa mit einem allgemeinen Kriege. Indeſſen er-
ſchien ein Geſchwader der Verbündeten an der ſyriſchen Küſte und begann die Beſchießung
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