Full text: A bis E (1. Band)

  
  
Böhmifche Literatur 261 
von Hanka (f.d.) aufgefundenen herrlichen königinhofer Handſchrift wirkte eben: 
ſo belebend auf den nationalen Sinn, als die Gründung eines Nationalmuſeums 
in Prag, und mehre 1816 — 18 erlaſſene Hofdecrete, welche die Übung der Gym- 
naſialſchüler auch in bömifcher Sprache empfahlen, obgleich dieſe Decrete ſpäter 
(14. Febr. 1821) außer Kraft gefegt wurden. Seit jener Zeit hat die Bildung 
der böhmiſchen Sprache und Literatur raſche, faſt zu gewagte Fortfchritte ges 
macht; fie wurde in Form und Gehalt europäifh und fügt fich bereits faſt 
allén Bedürfniſſen der Zeit in der Kunſt und Wiſſenſchaft. Nachdem nämlich 
Dobrowsky's (\. d.) Scharfſinn den geſammten organiſchen Bau und die 
außerordentliche Bildſamkeit dieſer Sprache aufgede>t hatte, durfte man es feit 
1818 wagen, eine feſtbeſtimmte, regelmäßige und klare Terminologie für die 
meiſten wiſſenſchaftlichen Fher aufzuſtellen; zugleih wurden die ſo lange ver- 
geſſenen reichen Denkmäler altböhmiſcher Literatur zu dieſem Zwecke hervor- 
geſucht und benugt, und auch auf die übrigen, flawifchen Dialekte Rüdficht 
genommen. Das Verdienſt, dieſe ſhwierige Bahn zuerſt und glü>lih gebro- 
chen zu haben, gebührt den prager Profeſſoren Joſ. Jungmann und Joh. Swat. 
Presl. Die poetiſche Diction wurde gleichfalls durch die königinhofer Handſchrift 
veredelt, und die mit vollem Erfolge gekrônte Empfehlung antiker metriſchen For- 
men durch Schaffarik und Palacky — unter allen Sprachen des neuen Europa ſind 
es nur die böhmifche und die ungrifche, welche den auf das Zeitmaß gegründeten an- 
tifen Rhythmus in allen ſeinen Proteusformen zwanglos und vollfklommen bil- 
den Eönnen — trug ſeit 1818 zu dem höhern Schwunge bei, den die böhmiſche 
Dichtkunſt ſeitdem genommen hat. Endlich wurden, nach Dobromwsky’s Vorſchlag, 
auc) einige Sneonfequenzen der alten böhmifchen Orthographie beſeitigt. Freilich 
waren mit dieſer ſchnellen Metamorphoſe der Sprache und Literatur nicht alle 
Böhmen felbft zufrieden; die Anhänger des Alten, und darunter vorziiglich die 
Profeſſoren der böhmiſchen Sprache, Negedly in Prag und Palkowic in Pres- 
burg, erhoben heftigen Widerſpruch und veranlaßten einen einheimiſchen Streit, 
der zwar an ſich bald in bloße orthographiſche Mikrologie ausartete, aber auch ge- 
fährlich zu werden drohte, nachdem man ſich nicht geſcheut, das reinwiſſenſchaftliche 
Streben arglofer Männer bei höhern Behörden unredlicherweiſe als ſtaatsverderb: 
lich, ja ſelbſt als eine Religion und Sitten gefährdende Neuerung, und die For: 
ſchungen in andern ſlawiſchen Dialekten als einen politiſchen Nuſſismus zu bezeich: 
nen. Eine ſo geartete Oppoſition mußte freilih zuleßt ſowol an dem geſunden 
Sinne der Nation als an der beſſern Einſicht der Landesregierung ſcheitern. Da- 
gegen verbreitet ſich die Liebe zur- böhmiſchen Literatur ſichtbar bei allen Ständen 
und Claſſen der Einwohner in gleichem Maße, wie dieſe ſelbſt an Gehalt, Man- 
nichfaltigkeit und Bedeutſamkeit zunimmt. Unter den feit 1818 fi) auszeichnen: 
den böhmiſchen Schriftſtellern nennen wir die vorzüglichſten. A) Dichter und Bel: 
letriſten : Franz Ladislaw Gelakowsty (geb. 7. März 1799 zu Strafonig in Böh- 
men, in Prag lebend), ein kräftiges und gebildetes Talent, originell und voltsthüms 
lich zugleich; ſeine vermiſchten Gedichte (2. Aufl., Prag 1830), fein Nachhall ruſſiz 
ſcher Lieder (Prag 1829), Nachhall böhmiſcher Lieder (1830) und andere mehr, 
gehören zu dem Beſten, was die neuere Poeſie überhaupt aufzuweiſen hat. Wences- 
laus Klicpera (geb. 1792, Profeſſor in Königgräz) lieferte Uber 30 Schauz, Luſt: 
und Trauerſpiele, darunter mehre gelungene. Johann Kollar (geb. 1793 zu 
Zhurog in Ungarn, jebt evangeliſcher Prediger in Peſth) erwarb ſich durch ſeine 
„Slawy Deera““, einen Kranz von 150 erotiſchen und patriotiſchen Sonetten 
(2. Aufl. Ofen 1824), ſowie durch geiſtreiche Epigramme und Elegien den Ruf 
des erſten böhmiſchen Dichters. Joſ. Jar. Langer (geb. 1806), ein vielverſpre- 
chendes, originelles Talent, noh ohne gereifte Bildung, leiſtete Vorzügliches ſo- 
mol in feinen nationalen Jdyllen und Märchen (Prag 1830), als in zerflreus 
  
 
	        
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