22 Adrianopel (Einnahme und Friede von)
Doch im Drange der ſteigenden Gefahr ließ auch der Großherr ſelbſt den Geſandten
von Royer fchriftlich noch insbefondere auffodern, die gewünſchte Sendung in das
ruſſiſche Hauptquartier zu übernehmen, und nun glaubte derfelbe endlich um fo
mehr nachgeben zu müſſen, als auch die beiden Botſchafter ihre Bitten mit denen
der Pforte wiederholt vereinigten. Er ſchiffte ſich daher am 9. nah Nodoſto ein,
das noch im Befige der Türken war, und kam am 11. Abends in Adrianopel an,
Der ruſſiſche Dberbefehlshaber empfing ihn mit Zuvorkommenheit. Sn der Zus
verſicht, daß die türkiſchen Bevollmächtigten nunmehr den Frieden abſchließen wür:
den, ließ er nochmals das Heer (f. oben) ſeine Bewegungen einſtellen. Nachdem
hierauf der Geſandte v. Noyer den türfifchen Bevollmächtigten die Nothwendigkeit
vorgeſtellt, dem Gebote ihres Deren gemäß, fich in den Willen des Kaifers zu fit:
gen, entfagten diefe zulegt ihrer Weigerung, und am 14. Sept. wurde der Friede
zwiſchen Rußland und der Pforte unterzeichnet. *) So bewährte
Preußen, ohne als Vermittler aufzutreten, feinen moralifchediplomatifchen Einfluß
auf eine ſeltene und denfwürdige Weiſe. Die Bedingungen dieſes, auf die Baſis
des afjermaner Vertrags gegründeten Friedens umfaßten ſämmtliche, ſeit 1812
im Drient verhandelte Fragen. Rußland ſorgte durch dieſelben für das Schickſal
der Fürſtenthümer Moldau und Walachei, die oft von den Launen eines Paſcha
abhingen, und ſicherte ſeinen Glaubensgenoſſen, den Serbiern, eine unabhängigere
Lage z es begründete das politiſche Daſein Griechenlands, dieſer Wiege der euros
päiſchen Aufélärung; es eröffnete allen Nationen die freie Schifffahrt zwiſchen dem
Bosporus und den Dardanellen ; e8 fegte durd) Quarantaineanftalten an den
Grenzen der europäiſchen Türkei der größten aller Plagen ein Ziel. Für ſich ſelbſt
aber erlangte es unermeßliche Handels-, militairiſche und politifche Vortheile.
Die 16 Art. des Sriedenstractats (T. denfelben vollſtändig in der „Aug. Ztg.”,
1529, Beil. Nr. 103; im „Polit. Journ.““, Det. 1829, und die Separatartitel
in der „Allg. 3tg.“, 1829, S. 1187, und im Novemberſtück des „Polit. Journ.)
enthalten nämlich im Weſentlichen Folgendes: Rußland gab an die Pforte zurü>;
die Fürſtenthümer Moldau und Walachei nebſt allen Plätzen und Diſtricten, welche
in Bulgarien und Rumelien von den Ruſſen erobert worden waren; der Pruth
ſollte fortan bis zu ſeinem Ausfluffe in die Donau, und dieſer Strom bis an die
St.-Georgsmündung die Grenze beider Reiche bilden, ſodaß alle von den Armen
dieſes Fluſſes gebildeten Jnſeln im Befige Nußlands verbleiben. Das rechte Do:
nauufer blieb im Befige der Pforte, jedoch ſollten ſowol ruſſiſche als türkiſche Han-
delsfahrzeuge die ganze Donau frei befchiffen; auch follte das rechte Ufer zwei Stuns
den weit vom Fluſſe entfernt unbewohnt bleiben, Jn Aſien ward zwiſchen den ruſ-
ſiſchen und tärkiſchen Provinzen eine genau bezeichnete Grenzlinie gezogen, auf de-
ren Südſeite Alles der Pforte, auf deren Nord-, Oſt: und Weſtſeite aber Alles Rußs«
land verblieb. Jn Folge deſſen erhielt die Pforte einen Theil des Paſchaliks Athal:
zit, nebſt den ganzen Paſchaliks von Kars, Bajazet und Erzerum zurü>. Rußland
behielt die Feſtungen Anapa, Poti, Athalzik, Azchour und Akhalkalaki. Ferner
ſollte der Tractat von Akjerman rü>ſichtlih der ſehs von Serbien abgeriſſenen,
dieſem Lande zurüzugebenden Diſtricte genau von der Pforte und fofort erfüllt
werden. Die Dandelsfreiheit der Ruſſen insbeſondere ward durch den 7. Art. im
ganzen Umfange des türkiſchen Reichs, wie auch die freie Schifffahrt vom mittel:
ländiſchen ins ſchwarze, und vom ſchwarzen ins mittelländiſche für ruſſ. Handels:
fahrzeuge feſtgeſtellt, und zugleich der freie Schifffahrtszug durch die Dardanellen
*) Die Ratification des Fricdensinſtruments erfolgte în Konſtantinopel, wegen dex
nach orientaliſchem Gebrauche dabei unerlaßlichen kalligraphiſhen Verzierungen, erſt
am 26. Sept. Auch wurde dadurch Zeit gewonnen, die erſte Ratenzahlung von der
für die Entſchädigung des ruſſiſchen Handels beſtimmten Summe (\. unten) weiter
hinauszuſchieben.
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