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Reiſe zeichnete er Alles, was uns einen deutlichen Begriff von den Eingeborenen
Nordamerikas und den Südſeeinſulanern verſchaffen konnte. Nach einer faſt vier:
jährigen Seefahrt kam C. 1819 nach Frankceich, wo er beſonders in Paris von
den erſten Gelehrten mit großer Zuvorkommenheit aufgenommen, und ermuntert
wurde, auf Stein zeichnen zu lernen, damit ſeine herrlichen Skizzen nichts von ih-
rer Eigenthümlichkeit verlieren möchten. Hier gab er ſeine Beobachtungen und
Studien in einem Werke heraus, welches den Titel führt: „Voyage pittores-
que autour du monde, offrant des portraits de sauvages d’Amerique, d’Asie,
d’Afrique et des îles du grand océan, leurs armes, leurs habillemens, parures,
ustensiles, canots, pirogues, maisons, danses, divertissemens, musique et ins-
trumens de musique, des paysages et des vues maritimes, plusieurs objets
d’histoire naturelle, tels que mammiferes et oiseaux, accompagnés de dé-
scriptions par le baron de Cuvier et Mr. Adalb. de Chamisso, et de cränes
humains, accompagnes d’observations par le Dr. Gall” (22 Lieferungen, Fol.,
Paris 1821 — 23). Jun dieſen Zeichnungen herrſcht eine Wahrheit , Lebens-
friſche und Originalität, wie ſie kein früherer Maler ähnlichen Gegenſtänden zu
verleihen wußte. Nichtsdeſtoweniger muß man eingeſtehen, daß C.'s Pinſel den
Bewohnern des großen Ozeans weniger günſtig war als ſeine Feder. Man
weiß, daß die Berichte der Reiſenden des 17. Jahrhunderts die Wilden in ihrer ña-
turlichen Häßlichkeit darſtellten, während in den ſhönen Reiſewerken eines Cook,
Bougainville und neuerer Weltumſegler jeder Jnſulaner von Otahiti ein Apollo
oder Hercules iſt, jede Frau aber eine Venus oder Diana darſtellt. C. zeigt uns
die Natur, wie ſie iſt, Er führt ebenſowol Körper von bewunderungswärdiger
Schönheit, das fchönfte Ebenmaß der Glieder, als die ſhmuzige Haut, den wilden,
mistrauifchen Bli, die abgeplattete Nafe und die vielfach entftellten Gefichtszüge
der verſchiedenen Erdbewoohner vor unſer Auge. Oft ſtaunen wir den athletiſchen
Bau eines Neuſeeländers an, ſchre>en aber vor dem tückiſchen Und menſchenfeind-
lichen Auge und den rohen Zügen deſſelben Menſchen zurü>, wie uns zugleich der
ſtumpfe Geſichtswinkel, der affenartig hervortretende Mund, die tiefliegenden Au-
gen und die niedrige, wildbewachſene Stirn, mit einem Worte, die Thierähnlichkeit,
zum Mitleid rührt. Selbſt in dem weiblichen Kopfe mangelt faſt bei allen Jn-
felbewohnern der Ausdru> der Milde und des Wohlwollens oder iſt von einer al-
len Anſtand beleidigenden Frechheit begleitet, nicht ſelten aber mit Stumpfſinn
und knechtiſcher Unterwürfigkeit verbunden. Man möchte glauben, daß die höhere
oder niedrigere Beſchäftigung — um die Stufe der Cultur gar nicht zu erwähnen —
ſhon allein dem Menſchen einen edlern oder unedlern Stempel auforü>e. Mit C.
beginnt gleichſam eine neue Periode der phyfiognomifchen Zeichnenkunft. Denn
nicht nur den Menſchen, ſondern auch die Phyſiognomie der Pflanzenwelt hat
er zum Gegenſtande ſeiner Forſhungen gewählt. Seine „Vues et paysages des
regions équinoxiales , recueillis dans un voyage autour du monde” (24 Tas
feln in Fol., Paris 1826) bilden gleichſam die Fortfegung feines frühern Wer
es. Mitten unter dieſe Arbeiten fand C. immer noch Zeit, ſich unter Gérard's
und Regnault's Leitung in der Hiftorienmalerei auszubilden. Mit Exfterm reifte
er 1826 nah Rheims, um eine Zeichnung von der Krönung Karls X. zu entwerfen.
Von neuer Reiſeluſt getrieben, unternahm E. 1827 eine Wanderung durch
Südamerika, hauptſächlich um die Eigenthümlichkeiten der dortigen Jndiañer-
ftämme zu fudiren und feine ausgezeichnete Sammlung von Portraits aller Na-
tionen der Erde durd) Zeichnungen nach der Natur zu vervollftändigen; allein er
wurde am 22, März 1828 auf dem Wege von Veracruz, wohin er in Begleitung
des Briten Henderſon reiſen wollte, nebſt dieſem Gefährten von Straßenräubern
ermordet. Er hinterließ in Frankreich ein zum Dru>e bereites Werk über
Rußland, welches den Titel führt: „Recueil de têtes et de costumes des ha-
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