Full text: A bis E (1. Band)

  
  
  
Gonftitutionen Der lebten fünf Jahre 507 
ganz Frankreich weder in den Kammern noch, durch die Druckerpreſſe eine freie 
Stimme mehr zu hôren war. Die Oppoſition in der Deputirtenkammer war ſhon 
bis auf wenige Mitglieder herabgeſunken, und man glaubte die Mittel zu befigen, 
fie nicht wieder auffommen zu laſſen. Das Miniſterium Martignac (4. Jan. 
1828 — 8. Aug. 1830) nahm zwar eine etwas veränderte Richtung, indem es 
den Umgriffen der geiſtlichen Macht entgegenarbeitete und der liberalen Oppoſition 
Einiges nachzugeben ſchien ; allein deſto entſchiedener war der rückgängige Charakter 
des Miniſteriums Polignac, welches am 8.4ug. 1830 an die Spiße ber Geſchäfte trat. 
Es iſt nicht bekannt, welche Veränderungen es in der Ferne noch vorbereitete, aber fo 
viel läßt fich mit Gemißheit erkennen, daß fehr bedeutende Schritte gegen das con- 
ſtitutionnelle und repräſentative Syſtem im Werke waren, und« daß die foniglichen 
Ordonnanzen vom 25. Jul. 1830 nur der Anfang, nicht die Hauptſache einer 
gänzlichen Umgeſtaltung ſein ſollten ; auch daß die Wirkungen dieſer Umgeſtaltung 
nicht bloß auf Frankreich berechnet , fondern fich über ganz Europa zu. verbreiten 
beſtimmt waren. 
In dieſe Zeit fällt daher auch nur eine einzige neue Verfaſſung eines deutſchen 
Staates, die des Herzogthums Sachſen -Meiningen vom 23. Auguſt 1829, 
Sie war nicht die Folge eines ungewöhnlichen aufgeregten Strebens im Bolke, 
ſondern ganz einfach dadurch herbeigeführt, daß durh die Theilung der Länder 
der ausgeftorbenen fachfen= gothaifchen Linie das Herzogthum nun aus fünf ver: 
ſchiedenen Landestheilen beſtand, deren jeder eine beſondere Verfaſſung gehabt hatte. 
Es war durchaus nothwendig, alle dieſe Theile in ein Ganzes mit gemeinſchaſt- 
licher Verfaſſung zu vereinigen , und die Abfaſſung des neuen Grundgeſeßes wurde 
dem ehemaligen hildburghäuſiſchen Geheimrathe Schmid zu Jena, der auch jebt 
noch als Profeſſor der Landesuniverſität und Mitglied des Dberappellationsgerichts 
meiningiſcher Staatsdiener war, Übertragen. Die Aufgabe war, die alten 
Grundlagen der Verfaſſungen ſo viel möglich beizubehalten und zufammenzu: 
\{melzen. Wie viel von Schmid's Entwourfe in den Conferenzen mit dem Mini- 
ſterium, durch eigne Entſcheidungen des Herzogs und zuleßt in den Berathungen 
mit einem Aus\huß der Stände abgeändert worden iſt, können wir nicht angeben ; 
das Grundgeſes ſelbſt iſt im Ganzen dem Charakter treu geblieben, welchen alle ſeit 
1815 entſtandenen deutſchen Verfaſſungen haben : monarchiſche Grundform, Re- 
präſentation der Rittergüter, des Bürgerſtandes und der kleinen Grundbeſitzer zu glei: 
chen Theilen. Weſentliche Theilnahme der Stände an der Geſeßgebung, doch mit 
einem überwiegenden Einfluſſe der Regierung, Steuerbewilligung, Trennung des 
Domainengutes von den Staatscaffen, Controle der Stände über die Erhaltung 
des Domainengutes, Recht der Anträge auf neue Geſeße, der Beſchwerden und 
Anklagen gegen Staatsdiener : auf dieſen Grundlagen ruht das Ganze. Daneben 
ſind manche Beſtimmungen über das Verhältniß zwiſchen dem Staat und dem 
Einzelnen, über die Rechte der Kirchen und Gemeinden aufgenommen worden 
welche beweiſen, daß man durch das Grundgeſehß zugleich die Bahn zu manchen 
andern wichtigen Einrichtungen ebnen wollte, von welchen bis jeßt nichts weiter 
zum Vorſchein gekommen iſt. Dahin gehört insbeſondere eine ſehr weit auszu- 
dehnende Anlage der Gemeindeverfaſſung und überhaupt der corporativen Rechte 
der Unterthanen, denen auch nicht verwehrt ſein ſoll, zu jedem beliebigen Zwe>e, 
wenn er nur nicht geſezwidrig iſ, Geſellſchaften zu ſtiften. Die kirchlichen Ver: 
hältniſſe ſind mit wenigen Sägen ſo beſtimmt, daß der Kirche ihre Freiheit im Jn- 
nern bleibt, in ihren äußern Verhältniſſen hingegen dem Staate die Mittel nicht 
entzogen werden, die Harmonie zwiſchen beiden aufrecht zu halten. Daher iſt 
auch das Kirchenvermögen nicht ſo unbedingt der Dispoſition des Staats durch 
Geſege entzogen worden, als in andern Verfaſſungen, wo man überſehen hat, daß 
cine übermäßige Dotation der Kirche muß reducirt werden können, und daß die 
 
	        
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