Full text: A bis E (1. Band)

  
$12 Eonftitutionnelles Syftem 
Überhaupt aber läßt ſich nicht verkennen, daß auch für Frankreich und für manche 
andere Conſtitution die Tage der Prüfung angebrochen ſind oder ſchnell heran: 
nahen, in welchen es ſih bewähren wird, was von allen dieſen Beſtrebungen der 
Völker eine wahre, tiefe und kräftige Grundlage habe oder nur auf den Sand wan- 
delbarer Aufregung gebaut ſei. (3) 
Conſtitutionnelles Syſtem. Unendlich reich ſind die legten fünf 
Jahre wieder an Ereigniſſen geweſen, welche, aus dem Streben der Völker nach ge: 
ſeblicher Ordnung der öffentlichen Gewalt hervorgehend, ſowol die weite Verbrei- 
tung als die Stärke dieſes Strebens beweiſen, und die Überzeugung hervorbringen 
müſſen, daß das weſtliche (romaniſch-germaniſche) Europa in ſeiner innern Ent- 
wi>elung auf einen Punkt gekommen iſt, auf welchem das Volksleben nicht mehr 
von bloßer fremder Autorität geleitet werden kann, und weder ein blinder Glaube 
noch ein leidender Gehorſam der Kirche und der Staatsregierung entgegenkommen. 
Die Völker verlangen Feine Anarchie, Feine Herrſchaft der Menge , welche nur ein 
vorübergehendes äußerſtes Mittel iſt, wol aber wollen oder Eönnen fie nur durch 
Gründe regiert werden , welche aus den zu größerer Klarheit gelangenden Begriffen 
von Recht und Pflicht abgeleitet werden. Mußte man in der altern. Zeit manche 
zufällige Borurtheile und Nationalgefühle fchonen, fo müffen nun die Anfoderungen 
berücfichtigt werden, welche aus der mehr in das Volk eingedrungenen Einſicht 
über den Rechtsgrund und den höchſten Zwe> der Staatsgewalt entſpringen, und 
gerade durch das Bemühen, ſie zurü>zuweiſen, um ſo ſchneller verbreitet und leb- 
hafter aufgefaßt werden. Denn gerade Das, wogegen mit einer Art von Leiden- 
ſchaft gekämpft wird, bekommt eben dadurch ſelbſt in den Gemüthern Derjenigen 
eine große Bedeutung, welche ſonſt kaum eine Ahnung davon gehabt hätten, aber 
nun meinen, daß es doch einen großen Werth für ſie haben müſſe, weil es mit ſo 
großer Wichtigkeit und Anſtrengung abgewehrr wird. Mit dieſem Streben der 
Zeit nach ‚gefeglicher Beftimmung der öffentlichen Gewalt iſt es innig verwandt 
und eine unausbleibliche Außerung deſſelben, daß für den Werth der Menſchen und 
für den Antheil eines jeden an den Vortheilen und Laſten der Staatsgeſellſchaft ein 
ganz anderer Maßſtab geſucht wird als der bisherige, welcher von den Zufälligkeiten 
der Geburt entlehnt iſt. Denn wenn das Geiſtige herrſchen ſoll, ſo kann nur die 
moraliſche Eigenſchaft der Jndividuen in Betracht kommen, welche ſich nicht ver- 
erben läßt, und das geſunde Urtheil über die Vernunftiwidrigkeit des Worgebeng, 
daß eine Kafte.von Geburt klüger und beſſer ſein könne als die andere, läßt ſich durch 
keine Sophismen, ſie mögen der Geſchichte oder der Naturlehre abgeborgt werden, 
irre leiten, Der Anſpruch -auf ein gleiches Verhältniß ziviſchen den Laſten und 
Bortheilen des Staats, und die Foderung, daß gleiche Verdienſte gleichen Lohn er- 
halten, kein Verdienſt ohne Belohnung bleibe , keine Belohnung ohne Verdienſt 
ertheilt werde, iſt in der neuern Zeit nicht durch größern Ehrgeiz des einen Theiles, 
ſondern am meiſten dadurch geſteigert und dringender geworden, daß auch die An- 
foderungen an den Staat unendlich ausgedehnt worden ſind; daß dadurch die Auf- 
merkſamkeit der Steuerbaren auf die Zwe>e, für welche ihre Beiträge verwendet 
werden, geſchärft worden iſt ; und daß faſt Jeder berechnet, wie viel von einer un: 
nôthigen Ausgabe der Regierung ihn ſelbſt trifft. Von dieſer Seite vornehmlich 
hat nun die Öffentlichkeit in allen Zweigen des Staatslebens ſelbſt für den ſchlich- 
ten Sinn des Bürgers eine Bedeutung bekommen, von welcher man vor wenigen 
Jahren noch keine Ahnung hatte, und die Verfaſſungsurkunden, über deren pa- 
pierne Vergänglichkeit ſo viel geſpottet worden iſt, find zivar noch nicht Überall eine 
Wahrheit, allein allenthalben eine Realität geworden. Man weiß aus Erfahrung, 
daß, wie Archimedes nur einen noch ſo kleinen, aber feſten Punkt verlangte, um von 
dieſem aus die Welt zu bewegen, faſt jede, auch eine unvollkommene Verfaſſung, 
einen ſolchen feſten Punkt gewährt, und daß, wenn auch damit noch nicht die Mit- 
  
  
  
 
	        
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