Full text: A bis E (1. Band)

  
516 Conſtitutionnelles Syſtem 
nicht, ſeit wann und wodurch der Sinn für Freiheit und Ehre erwe>t worden iſt, 
Er lebt in jeder menſchlichen Bruſt und erwacht, wenn es Zeit iſt, von ſelbſt. Will 
man aber ja einen Anſtoß von Außen ſuchen, ſo findet er ſich von ſelbſt in dem Auf- 
ruf an die Maſſe, mit freien Anſtrengungen herbeizueilen, als der blinde Gehorſam 
unzureichend geworden war, und in dem Zuziehen der Volksclaſſen, denen man 
bisher nicht die mindeſte Außerung einer Meinung gegen die Staatsbehörden 
geſtattet hatte, zu den Berathungen über die wichtigſten und ſ{wierigſten Ange- 
legenheiten des Staats. Von da an mußte die Handhabung der Staatsgewalt in 
jeder Hinſicht einen andern Charakter annehmen; alle verächtliche Behandlung, 
Schläge und andere Verlegungen der menſchlichen Würde, mußten aufhören; die 
Ständetafel feßte dierbisher von einander Geſchiedenen vollkommen gleich, und faft 
ebenſo demúthig ſteht jezt der Beamte vor ihren Schranken, als er den an der 
Tafel ſizenden Landmann ſonſt vor den ſeinigen geſehen hatte. Es ſei fern, über 
diefe glückliche Veränderung der Dinge, wodurch ein Jeder zu dem Gefühl ſeines 
menſchlichen Werths erhoben wird, irgend einen Tadel andeuten zu wollen; aber 
nachdem man dies Eine gethan hat (niht ohne einige Nebenabſicht gegen den 
Beamten: und Gelehrtenftand), muß man auch über die Folgen ſich niht wundern, 
und die Erbſchaft mit allen ihren Vortheilen und Laſten annehmen. Zu den lebten 
gehört aber, daß durch die Herrſchaft des Rechtsbegriffs die bloße factiſche Autorität 
ihre Macht verloren hat, denn indem der Menſch anfängt auf ſein Recht zu halten, 
wird er auch zur Kenntniß deſſelben geleitet, und lernt es endlich als ſein höchſtes 
But erkennen, welchem ex jedes andere unterordnet und aufopfert. Der Begriff der 
Gerechtigkeit erweitert ſich aber immer mehr und nimmt auch die Gleichheit vor 
dem Öefege, die Gleichheit der Beiträge zu den Staatsbedürfniffen, die Verwendung 
der Staatseinkünfte zu keinem andern Zwe als dem wahren gemeinen Wohl, die 
Sähigkeit, Aller zu Amtern und Würden, mit in fi auf; während ſich zu gleicher 
Zeit — und. dies iſ eine dritte Thatſache — unter allen Claſſen des Volkes die 
Kenntniß und Würdigung der Mittel mehr verbreitet, dur welche die Handhabung 
jenes Rechtsbegriſfes am kräftigſten geſichert werden kann. Dieſe Kenntniß kommt 
gleichſam von ſelbſt durch das Gefühl, daß das Licht durch ſeine eigne und alleinige 
Kraft die Werke der Finſterniß verhindert, daß Ungerechtigkeit, Pflichtverſäumniß, 
Trägheit und Unwiſſenheit ſhon durch die Öffentlichkeit verſcheucht werden , und 
die Rechenſchaft, zu welcher die Verwaltung genöthigt wird, den ganzen Geiſt der- 
ſelben verändert. “Von der Öffentlichkeit zur Preßfreiheit iſt nur ein kleiner Schritt, 
oder vielmehr beide ſind ihrem Weſen nach eins, und das Gefühl, die Wahrheit 
ſagen zu dúrfen,-hat einen fo großen Reiz, daß es ſehr ſchnell zu einem allgemeinen 
Bedúrfniß wird. Nicht immer beruht all Dies auf flaren Vorſtellungen, und es 
mag Mancher nicht genau wiſſen, welche Heilige er anruft, wenn er ſein Scherflein 
in den Opferſto> fúr die Preßfreiheit legt. Allein im Erfolg ändert das nichts, und 
die Unwiſſenheit des Volkes iſt auch in dieſen Dingen lange nicht ſo groß, als man 
glaubt oder zu glauben wünſcht; und mit Begierde greift es nach jeder wahren oder 
vermeintlichen Belehrung, wenn ſie, was tief in der Natur begründet iſt, nur nicht 
den Berdacht der Parteilichkeit gegen ſich hat, weil ſie von der Autorität ausgeht. 
Wenn das Lob oder die Vertheidigung Werth haben und Eingang finden ſoll, muß 
auch der Tadel frei ſein, und die Sache iſt auf einen Punkt gekommen, wo die 
größte Zügelloſigkeit der Preſſe nicht fo viel Schaden thun kann als das gezwoungene 
Schweigen gemäßigter, Recht und Wahrheit liebender Männer, welche weder als 
Schmeichler erfcheinen, noch die beftehenden Gefege umgehen wollen, und weil fie 
nicht frei ſprechen können, lieber gar nicht fprechen. Die wichtigſte und entſchei- 
dendſte unter allen Thatſachen des conſtitutionnellen Lebens iſt aber viertens die, daß 
die Völker ſich der Macht bewußt geworden ſind, welche fie befigen; das ift der 
große Fehler, welchen die ältere Linie der Bourbons begangen hat, daß fie nach und 
  
 
	        
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