Full text: A bis E (1. Band)

  
626 Deutſche Literatur 
Bortsverteetung, Preßfreiheit unter andern getrieben wurde, darauf brauchen wir 
bloß hinzuweiſen. Konnte 08 doch zulegt beforglichen Gemütheen faft fheinen, alg 
ob die dúſtern Vermächtnißworte eines edeln Deutfchen (Niebuhr’s in der Vorrede \ 
zur neuen Ausgabe der „Römiſchen Geſchichte‘) in Erfüllung gehen ſollten, zumal 
ſeitdem ſelbſt beſſere Köpfe ſich nicht entblôdeten, das deutſche Streben in Kunſt 
und Wiſſenſchaft zu verhöhnen und in den Argen des Auslandes, das kaum ange- 
fangen hatte, ihm die verdiente Achtung zu zollen, herabzuſezen. Jn der That 
brachten zwar unſere jährlich erſcheinenden literariſchen Meßverzeichniſſe nach her- 
gebrachter Weiſe immer noch ihre 3 — 4000 Nummern; aber wie Weniges blieb 
darin, nach Abzug Deſſen, was lediglih dem Jntereſſe des Augenbli>s diente, 
übrig, was einer ernſtern und bleibendern Beachtung würdig geweſen wäre! Es 
würde uns hier zu weit führen, wollten wir ausführlicher unterſuchen , wie viel 
davon den Schriftſtellern, wie viel der Leſewelt ſelbſt zur Laſt falle. Wohl mag 
dieſe einen großen Theil der Schuld tragen. Die Freude an dem Beſiß eines 
guten Buches und der Genuß eines langen und oft wiederholten Verkehrs mit dem- 
ſelben ſcheint verſhwunden ; ein eiliges Durchlaufen iſt an die Stelle des ernſten 
Leſens getreten , und daher auch der Willkommenſte Derjenige, der die flüchtige 
Lecture durch die. geringſten Zumuthungen am meiſten erleichtert und den Anſich- 
ten, Neigungen und Leidenſchaften ſeiner Leſer ſo weit entgegenkommt, daß es für 
dieſe nicht eben eines tiefen Forſchens bedarf, um in dem Gegebenen ſich ſelbſt mit 
ihrer ganzen Einſeitigkeit wiederzufinden. Daß in ſolcher Zeit denn doch der 
wiſſenſchaftliche ernſtere Sinn des Deutſchen ſich nicht ganz verleugnete, und daß 
ſelbſt auf dem Gebiete der Kunſt, unangefochten von dex Misachtung und dem 
Hohne der Menge, einzelnes Treffliche fich hervorthat, muß uns über die trüben 
Verkündigungen Einzelner beruhigen, und eine Überſicht der bedeutendern Erſchei- 
nungen der legten fünf bis ſehs Jahre in den Feldern der Sprache, Poeſie, Ges 
fchichtfchreibung, Philofophie und Staatskunde Deutſchlands dürfte ſchon in dieſer 
Beziehung ihr Erfreuliches haben. 
Was zunächſt die S pra e betrifft, ſo blieben ihr auch in dieſer legten Zeit 
einzelne tüchtige Kräfte zugewendet, und während Mehre, wie Fr. Schmitthen- 
ner, H. Bauer, Herling und K. F. Beer, zunächſt ihren gegenwärtigen Zu- 
ſtand ins Auge faßten, führte der treffliche Y. Grimm: ſeine tiefgründlichen geſchicht- 
lich-vergleichenden Forſchungen weiter fort, deren reiche Ergebniſſe in dem zweiten 
und dem jüngft erfehienenen dritten Bande feiner Grammatik nun vorliegen. An fie 
fchloffen fich in gleicher Nichtung die fleißigen Arbeiten E. G. Graff's an, der 
theils in ſeiner „Diutiska”, der Frucht einer dreijährigen Neife ducdy Frankreich, 
Ftalien und Deutfchland, eine Menge bis dahin unbekannter Denkmäler alt- 
deutſchen Schriftenthums aus dem Staube der Bibliotheken ans Licht zog, theils 
durch die Herausgabe des. älteſten noch vorhandenen hochdeutſchen Gedichts, des 
Otfrid’ſchen „Kriſt“, fich um die Sache der deutſchen Sprachforſchung ein aberx- 
maliges großes Verdienſt erwarb, und durch das Verſprechen einer Dtfeid’fchen 
Grammatik uns eine neue Ausficht auf fortgefegte Erweiterung des Gebiets der 
vaterländiſchen Sprachkunde eröffnete. Wie Vieles in dieſer Beziehung von dem 
gründlichften Kenner des Sanskrit, Franz Bopp, durch tieferes Zurückgehen auf 
die erſten Wurzeln des deutſchen Sprachenſyſtems bereits geleiſtet worden, iſt von 
Urtheilsfähigen anerkannt, und reichere Ausbeute noch läßt ein für die nächſte Zeit 
angekündigtes größeres Werk, ſeine „Vergleichende Grammatik des indo-germani- 
fihen Sprachftammes”, erwarten. Es mag hierbei nicht Übergangen werden, daß, 
wenn die erſte Begeiſterung für den neuen, von Grimm eingeſchlagenen Weg auf 
nichts Geringeres ausging, als auf den Umſturz der ganzen bisherigen ſprachlichen 
IAntereichtsmethode, e8 einer befonnenern Prüfung endlich. gelungen zu fein fcheint, 
den Unterſchied zwiſchen einer wiffenfchaftfichen Behandlung des gefammten hiſto- 
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