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Deutſche Literatur 631
der Darſtellung und bei der Verſchiedenheit der zu befriedigenden Bedürfniſſe und
Foderungen kann es nicht befremden, wenn auf dieſem Gebiete mehr, als auf
irgend einem andern jede ſchriftſtelleriſche Jndividualität ihren Leſerkreis findet, und
neben den trefflichſten Leiſtungen auch das armſelige Product der fchwächften Kraft
fich auf den Liſten der Leſeluſtigen und in den Verzeichniſſen der Leihbibliothefen,
diefer literarifchen Acmenfuppenanftalten, eine Zeitlang behauptet. Noch dauern
die Nachwirkungen des Scott'ſchen Einfluſſes fort, und ſcheint auch Das, was
an dieſem begabten britiſchen Dichter lediglich Manier iſ, nachdem es bis zum
Überdruſſe nachgebildet worden, kein ſonderliches Glück mehr zu machen, ſo genießt
dennoch die Erzählung mit hiſtoriſcher Grundlage irnmer noch die alte Gunſt.
Daneben bildete fich aber auch eine eigenthümtiche deutſche Novelle mit tieferer
Weltanſchauung und poetiſcherer Auffaſſung des- Menſchenlebens heraus. Ihr
Schöpfer und Meifter war Ludwig Tie>. Sein leider no unvollendeter „Auf:
ruhr in den Cevennen“ (1826) und zahlreiche kleinere Erzählungen in dem Taſchen-
buche „Urania“ und dem von ihm herausgegebenen „Novellenkranze“/, wie das
Eöftliche „Dichterleben”” und viele andere, die der jüngſt begonnenen Geſammtaus-
gabe feiner Werke einft zum Schmude dienen werden, find willfommene Gaben
des echten Genius, die meift Alles, was von Andern in ähnlicher Form gegeben
worden, weit hinter ſich laſſen. Und wie Viele haben neben ihm nach dem Kranze
gerungen! Hauff's ſchónes Talent ließ ein frühzeitiger Tod leider nicht zur vollen
Reife gelängenz Zſchokke's Erzählungen , wie ſein „Addrich im Moos” (1826),
erwarben fich durch pſychologiſche Haltung und naturgetreue Charakteriſtik ſowie
durch eine gewiſſe Popularität der Verſtandesanſchauung zahlreiche Leſer, entbehr-
ten aber der philoſophiſchen und poetiſchen Tiefe, die wir an Tie>'s Cevennen und
mehren ſeiner Novellen bewundern. C. Spindler gewann ſich durch jugendliche
Friſche, lebendige, phantaſievolle Darſtellung und eine ernſte Betrachtung des Le-
bens in umfangreichen Dichtungen, wie dem „Baſtard“, dem „Juden“ und dem
„Jeſuiten“, Freundez doch ſcheinen die Folgen mehr der fremden als eignen Uber-
fhägung auch hier nicht ausbleiben zu wollen. Ein glüdliches Erzählertalent be:
währte auch Leopold Schefer und Andere, wie Friedrich Jacobs, Häring (Wilibald
Aeris), von Wigteben (Tromlig), und die Frauen: von Pichler, Schopenhauer,
Friederike Lohmann und Thereſe Huber („Die Ehelofen”, 1829), waren mehr ober
weniger thätig, fich bei ihren Leſern in friſchem Andenken zu erhalten. Bor Allem
aber múſſen wir die Romane des geiſtreichen Steffens („Walſeth und Leith“, „Die
vier Norweger” und „Malcolmn““), Spätfrüchte eines der Wiſſenſchaft gewidmeten
Lebens, hervorheben, die als bedeutſame Erſcheinungen der legten Jahre die Auf:
merkſamkeit auf fich zogen umd fie verdienten. Nennen wir dazu noch die „Liebes:
gefchichten” von Posgaru, einem geiſtreichen pſeudonymen Dichter, fo glauben wir
an die beachtenswertheſten Erzeugniſſe der legten Zeit im Fache der Erzählung er:
innert zu haben. Die polemifch=didattifche Tendenz in des Legtern und in Steffens’
Werken thut der Kunſtform weniger Eintrag, als dies in den theologiſchen Roma-
nen zweier in jeder andern Beziehung hochgeſchäßter Schriftſteller, Bretfchneider's
und de Werte’s, der Fall fein möchte.
Wenn der in unſern Tagen ſtärker als früher erwachte gefchichtliche Trieb
in dem Beifalle ſeine Beſtätigung fand, mit welchem Werke -der erzählenden
Poeſie, wenn ſie auf hiſtoriſchem Grunde ruhen, noh immer dahingenommen
werden, ſo zeugen dafür auch die mit gleicher Theilnahme unterſtüßten man-
nichfachen Unternehmungen zur Befriedigung eines faſt durc alle Stände vet:
heeiteten Bedürfniffes gefhichtliher Belehrung. Werke, toie die zu
Dresdeù erſchienene „Hiſtoriſche Taſchenbibliotheë“ und die zur Befriedigung höhe:
rer Anſprüche in eidem engern Kreiſe von Heeren und Ukert herausgegebene: „Ge:
fhichte der eutopälfchen Staaten”, beide dur die Theilnahme tühtiger Mitar
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