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Deutſche Schauſpieler und Schauſpielerinnen 653
kann, herumgaſtirt, theils fehlt es an Rollen, in denen der Schauſpieler ſeine Kunſt
zeigen kann. Die deutſchen Theater haben ſich iſolirt, ohne daß eins darum in
ſich etwas organiſch Vollendetes wurde. Was in Wien Eclat macht, misfällt in
Berlin, gefällt in Hamburg, wird in Leipzig ausgepocht und umgekehrt, Sowie
es an einem allgemein gültigen Princip fehlt, fehlt es den Gaſtirenèen an allge-
mein ſpielbaren Charakterrollen, wenn fie nicht immer wieder auf die aus Altern
Dramen zurlckehren wollen, wie z. B. Ehlair, Seit Raupady’s „Ifidor und
Dlga” iſt kein bedeutenderes Drama auf allen deutſchen Bühnen ducchgedrungen.
Seine hiſtoriſchen Stücke bleiben faſt allein auf Berlin, Grillparzer's neuere Traz
gödien auf Wien, Uichtriß? auf Dresden beſchränktz ſo fehlt der deutſchen Schau-
ſpielfunſt ein freies Wirken, und ſo weit ſie Kunſt iſt, ſieht ſie ſih immer genöthigt
auf das Alte, claſſiſch oder nicht claſſiſch, zurü>zugehen. Wo ſie niht Kunſt iſt,
kann ſie freilih mit Schubkaſtenſtücken, den Angely'ſchen und Birch-Pfeiſfer'ſchen
Volks: und Spektakeljtücden von Petersburg bis Trier und von Kiel bis Boten
ziehen. Das Dictum: als der Deutſche noh ſ{hle<te Originalſtücke hatte, fei
feine Schauſpielkunſt auf dem Culminationspunkte geweſen, und darauf geſunken,
als er claſſiſche dramatiſche Dichter erhielt, Läßt fich doch nicht als Regel weiter
verfolgen. Denn jegt ift der Verfall zwifchen der dramatiſchen Dichtung und der
Schauſpielkunſt wechſelſeitig, und Dichter und Mimen gingen Schritt für Schritt
und Hand in Hand bergab. Wer mehr, wer zuerſt Schuld, ob ſie nicht vielmehr
beim Publicum, bei den Höfen, in der veränderten Zeit zu ſuchen, ſind für dieſen Ort
zu weitläufige Unterſuchungen. Die vielen Hemmungen yon Seiten einer immer
ängſtlicher gewordenen Hofcenſur, die das alte deutſche Theater nicht kannte, die
überwiegende Neigung für die Oper, die Verſchwendung für Ballette, die frivole
Einwirkung von oben haben gewiß geſchadet; andererſeits iſt aber auch nicht zu
Überſehen, wie das Publicum ein fo ganz anderes jest iſt als zu den Zeiten der
Eckhof, Schröder, Jffland. Damals ſah und richtete ein beſtimmter kleiner Kreis
Gebildeter, an wenigen Abenden der Woche ziemlich regelmäßig verfammelt, die
Künſtler; heute will ein, jeder Abend anderer, Kreis reicher Müffiggänger, Roues und
Gelangieilter, Unterhaltung, Überrafhung und alles Andere eher als die Kunſt.
Der gebildete Mittelſtand, der Kern der Theatergänger von fonft, hat fi, nicht
allein, mit Ausnahme Wiens, in den Reſidenzen, ſondern auh ſchon in den Proz
vinzialſtädten faſt ganz vom Theater zurü>gezogen (er findet in der kunſtreicher
gepflegten Oper Entſchädigung), und die reich gewordenen aus dem gewerbtreiben-
den Bürgerſtande, die je6t die Theater ſtützen, verlangen zur Zeit noch nicht mehr
als Vergnügen und Befriedigung der Neugier. Was dem Schauſpieler heute bes
klatſcht wird, läßt morgen Ealtz; noch mehr zu feiner Entmuthigung trägt die Des
gradirung des Pärterre bei, ehemals der Sammelplag der gebildeten Kunſt-
freunde, jegt meift ein entlegener, beſchränkter Ort mit Beiſißern und Ständen,
zu denen man nicht leiſe reden darf, wenn ſie es verſtehen ſollen. Wer nach äußerm
Beifall haſcht, ſchreit zu ihnen Über die Sperrfige hinweg, deren Inhabern das De-
corum zu klatſchen verbieten will. Die deutſche Schauſpielkunſt, irre an ſich ſelbſt,
weil ihr ein Princip, Vorbilder, Richter, Gönner, fehlen, ſchwankt zwiſchen Über-
muth und Entmuthigung. Denn ſtiefbrüderlih zwiſchen den Geſchwiſtern Ballet
und Oper ernährt, daß ſie nicht ſterbe, unbeaufſichtet, daher verzogen und ungezogen,
ſchwelgt ſie doh noch zuweilen, trunken vom Jubel des Pôbels, und es war eine
Zeit — 15 Jahre des Friedens — wo ſie, um ihrer hübſchen Geſchwiſter wil-
len, auch von Fürſten und Höfen gehätfchelt wurde, und das Zuderbrot gefiel
ihr beſſer als das ſaure Ringen um die Kunſt, Dieſe Schlaraffenzeit iſt mit den
drei Juliustagen zu Grabe getragen. Fürſten und Völker haben an ernſtere Dinge
zu denken, ſchon haben mehre deutſche Theater dem Drange der Noth weichen mÜſ-
ſen, und es ſteht zu erwarten, ob der Umſchwoung der Zeit das deutſche Theater vol:
lends verderben oder aus ſeiner Erſchlaffung aufwe>en wird.