654 Deutſche Schauſpieler und Schauſpielerinnen
Seit dem Dru des vorigen Artikels ſind mehre glänzende Namen verlo-
Then, wenig neue dagegen aufgetaucht. Da vielfache Reclamationen gegen die
Namenlifte daſelbſt laut geworden, iſt es nicht unſere Abſicht, dieſelbe hier fort-
zufegen. Es iſt niht mehr die Zeit der Jndividualitäten , die Einzelkraft ver-
ſhwindet unter dem Ganzen. Bei den einzelnen Bühnen wollen wir dagegen
die ſeit den legten zehn Jahren neuaufgetauchten oder namhaft gewordenen Miz
men nennen oder beiſpielsweiſe furz charakteriſiren, nur inſofern eine Controle gez
ſtattend, als wir nichts Ausgezeichnetes übergangen zu haben hoffen. Die Wenigen,
welche damals „den innern Drang fühlten, die von der Poeſie geſchaffenen Charak:
tere äußerlich zu vergegenwärtigen und die ihnen von der Natur verliehenen Mit-
tel. mit poetiſchem Geiſte ausbildeten“/, ſind faſt Alle dahin. Wolff ſtarb und
ruht in Weimar, wo ſeine junge Kunſt ſich wiegte; ſeine Gattin zieht ſich mehr
und mehr von der Bühne zurü>z Devrient, an genialer Schöpfungskraft noch von
keinem Künſtler überboten, kämpft mit körperlicher Schwächez Eßlair zahlt dem Al-
ter ſeinen Tribut, iſk jedoch noch rüſtig; die Schröder will die Foderungen des Alters
noch nicht anerkennen, verlor aber an Kunſt und Gunſt durch ‘ein zu jugendliches
Umherſchweifen (jezt in München). Die Poeſie mit der Kunſt vermählt wählte
vorzugsweiſe Damen zu ihrer Verkörperung. Drei Sterne glänzten in den zehn
Jahren, von denen der eine ſchon erloſchen (Sophie Mú lle r, in der Neuen Folge
des Conv.-Lex. noch nicht einmal mit Namen erwähnt), der andere nahe der Mittags-
höhe feines Glanzes (Madame Grelinger), umd der dritte im fchönften Auf:
gehen iſt (Demoiſelle Gley). Über diefe drei Notabilitäten des deutſchen Thea-
ters ſiche die beſondern Artikel.— Ju Hamburg, wiewol unter einſihtsvoller Di-
rection von Künſtlern wie Schmidt und Lebrun, ſcheint das deutſche Schau-
ſpiel, das hier ſein zweites Bollwerk ſo lange fand, mit der Überwanderung in ein
neues prachtvolles Haus der Oper zu erliegen. Reſte alter Kunſt; Neues von Be-
deutung ging nicht hervor. — Auf dem königlichen Theater in Berlin wird die
Schauſpielkunſt zu ſtiefmütterlih behandelt, um fich auf der Höhe von fonft zu
halten. Neben Ballet und Oper beeinträchtigt die franzöfifche Truppe. Das
Trauerſpiel nur duch Madame Grelinger gehalten, Lemm herausgebildet für ru=
big tragiſche Väter, Krüger für Charakterrolfen, Rebenſtein (deſſen Lyrik einzig
vaſteht) ſchwankt no< zwiſchen Jung und Alt. Eduard Devrient, treffliche
Schule in gewiſſen Charakterrollenz Crüſemann, ein guter Bonvivant geworden z
Gern (der Jüngere) beliebt im baro> Komiſchen; Nüthling, jebt entwi>elter für
charakteriſtiſhe Komik, Demoiſelle Fournier hat Talent, forcirt es nur zu
ſehr; in launigen Zofenrollen durh anmuthig ke>es und lebendiges Spiel an
beſſere Zeiten erinnernd, Es fehlt an verſprechendem Aufwuchs, namentlich
im Liebhaberfah. Jm königſtädtiſchen Theater iſt das Schauſpiel, das einſt
durch Schmelka und mehre junge Talente viel verſprach, jegt nur noch eine
Zubuße der Oper. Spigeder (viele Mittel, wenig benugt) und Beckmann
(jest Volksliebling durch feinen Wis) gehören ihm zur Hälfte an. — Jn
Breslau, lange die Wiege der erſten Talente Deutſchlands, iſt es ſtill und
todt. — Jn Prag hat ſich Moriz als Liebhaber im bürgerlichen Schauſpiel her-
ausgebildet, Feiſtmantel bleibt einer der originellſten Localkomiker. — In Wien
(Burgtheater) hat Anſhüs durch ſeinen Lear, eine geniale Schöpfung, fich einen
dauernden Namen in der deutfchen Künftlerwelt erworben; feine neuen Rollen
erreichen. nicht gleiche Höhe felbftfchöpferifcher Kraft und Vollendung. Er iſt, un:
terſtúst durch eins der ſonorſten Organe, unbedenklich der erſte deutſche Declama-
tor, Ludwig Lôwe, jest vielleicht der ausgezeichnetfte Darſteller jüngerer Helden
und Liebhaber; hinreißend durch die Fülle ſeines Gemüthes, durch höchſte Natur-
lichkeit und Wahrheit; viel Feuer, ungezwungenſter Anſtand. Hätte er Reben:
ſtein’s (unbewußte) Lyrik, wäre er der Erſte ſeines Faches. Fichtner, jugendlicher
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