Full text: Die Glasindustrie (Heft 89)

   
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
    
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
    
I. Das venetianiiche Glas. 
Italien hatte weiter keine für unferen Gefichtspunkt intereffanten Glas- 
arbeiten auf die Weltausftellung gefendet, als was von Venedig, oder noch 
genauer, von feiner Infel Murano gekommen war. Einheitlich nach feiner Her- 
kunft, trug es daher auch einheitlichen Charakter, fo mannigfach auch die Gegen- 
ftände nach ihrer Beftimmung fich darttellten. 
Unter den verfchiedenen Arten von Kunftglas, die heute die herrfchenden 
find, ift das venetianifche das ältefte und das jüngfte. Wir nennen es das ältefte, 
weil feine volle künftlerifche Ausbildungim XVI. Jahrhundert ftattfand, während 
die Art des böhmifchen und des englifchen Glafes erft im XVII. und XVII. Jahr- 
hundert zur Entwicklung kam, und wir bezeichnen es zugleich als das jüngfte, 
weil das, was wir heute fehen, erft feit fünfzehn Jahren wie aus dem Nichts 
wieder erftanden it. 
Das venetianifche Glas, ja felbft feine Berühmtheit reichen allerdings 
weiter zurück als in die Zeiten der Renaiffance, aber es ift uns aus feiner mittel- 
alterlichen Periode an Gefäfs und Geräth fo wenig erhalten, dafs es in Bezug 
auf Nachbildung und Verwerthung für die Gegenwart völlig bedeutungslos ift. 
Auch gehört die eigentlich künftlerifche Entwicklung und Blüthe erft dem XVI. 
Jahrhundert an. Da erft gelangte diefe Induftrie, mitgetragen von dem Schwunge 
der Renaiffance, zu jener Fülle edler, leichter und eleganter Formen, zu jener 
Gefchicklichkeit und Verfchiedenartigkeit der Technik, wie fie die Muranefer 
Glasarbeiten vom XVI. und XVII. Jahrhundert kennzeichnen. 
Die Blüthezeit ging noch in das XVII. Jahrhundert hinüber. Darnach trat 
ein Verfall ein, theils durch das Aufkommen des böhmifchen Glafes, theils durch 
die Veränderung der Mode, theils durch den Niedergang Venedigs, wie auch 
der Kunft felbft, deren Höhe diefen und andere Induftriezweige gleicherweife 
gehoben hatte, wenn auch jedem feine eigenen Formen geblieben waren. Von 
da an fchwand die Gefchicklichkeit und Mannigfaltigkeit der Technik, die Fein- 
heit und Leichtigkeit des Materials, die Eleganz der Formen. Die Contouren 
wurden derber, unkünftlerifcher, die Maffe dicker und plumper nach Art des 
böhmifchen Glafes, ohne das verfchwundene künftlerifche Element gleich diefem 
auf einem anderen Weg durch Schliff, Gravirung und Politur zu erfetzen. End- 
lich gingen felbft die Oefen ein und Murano hörte auf, ein Kunftglas zu 
fabriciren. 
Erft feit wenigen Jahren ift es, dafs die Muranefer Oefen fo zu fagen 
wieder angezündet wurden, und diefe wenigen Jahre haben hingereicht, das 
Venetianer Glas nicht blos zu einer Kunftwaare zu machen, die mit den alten 
Vorbildern wetteifert, fondern fie haben ihm wiederum einen folchen Ruf, eine 
folche Bedeutung verfchafft, dafs es als eigene und felbftftändige Art in die Con- 
currenz der Welt eintritt. Vom Jahre 1859 erft datiren die patriotifchen Beftre- 
bungen in Venedig, die alte Glaskunft wieder hervorzurufen und der finkenden 
Stadt einen blühenden Induftriezweig zurückzugeben. Die fchwierige Aufgabe, 
die ebenfo technifch wie künftlerifch und commerziell zu löfen war, unternahm 
vor allen Dr. Salviati mit Hilfe eines finnenden Technikers in der Glas- 
macherei, Lorenzo Radi, der die verloren gegangenen Weifen eine nach der 
anderen wieder zu gewinnen trachtete. Heute ift die Aufgabe gelöft. In Murano 
 
	        
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