Das venetianifche Glas. ft
Bildfamkeit des Materials veranlafst, den Gefäfsen überaus complicirte Formen
zu geben, die Ständer der Trinkgefäfse oder fonftige Glieder feines Geräthes
mit allerlei Nebenzierath zu fchmücken, das wohl feine Gefchicklichkeit erken-
nen läfst, aber keineswegs immer die Schönheit erhöht und noch dazu den Feh-
ler begeht, die Arbeit äufserft heikel und brechlich erfcheinen zu laffen. Ins-
befondere durch diefe Uebertreibung wird dem venetianifchen Glafe der Charakter
des Luxusgeräthes aufgedrückt, der fonft keineswegs mit ihm verbunden zu fein
braucht. In befcheidener Art gehalten, eignet es fich für den allgemeinen
Gebrauch fo gut wie ein anderes.
Die zweite Art der Erweiterung befteht in der Hinzufügung der Farbe,
welche das englifche und böhmifche Kryftallglas gerade in feinen fchönften und
edelften Arbeiten völlig ausfchliefst. Diefe Anwendung der Farbe gefchieht nun,
gröfstentheils nach den alten Vorbildern, in höchft mannigfacher und zum Theil
fehr kunftvoller Art, aber faft durchgängig fo, dafs das Material des Glafes felbft
fchon gefärbt ift, fei es in der Hauptmaffe des Gegenftandes, fei es in den Thei-
len, die ornamental hinzugefügt find. Die eigentliche, vor allem figürliche
Malerei, wie fie der franzöfifche Gefchmack vom Porzellan auf opak gemachtes
Glas, insbefondere auf das fogenannte Beinglas übertragen hat, ift vom richtigen
venetianifchen Glafe principiell ausgefchloffen. Einzelne Beifpiele und Verfuche
bilden Ausnahmen. Nach echt Venetianer Art ift das Glasgeräth entweder in’
feiner ganzen Maffe farbig, fo dafs es bei durchfallendem Lichte mit dem Spiel
feiner Farbe wirkt. Diefs gilt von verfchiedenen Farben, z. B.vondunklen Tönen
in Roth, Blau und Grün, in bevorzugter Weife aber von dem Opalglas, das irifi-
rend je nach dem Lichte höchft wechfelnde Farbenfpiele zeigt Oder — und das
ift der zweite Fall — es ift andersfarbiges Glas in die klare Grundmaffe durch
den Schmelzungsprocefs eingelegt, fei es in Fäden, die das Glas fpiralig umzie-
hen und fich durchkreuzen (reticulirtes oder Filigranglas), oder in Blumen und
fonftigen einfachen Figuren (Millefioriglas). Drittens fetzt man dem Geräthe
Flügel, Knöpfe, Rofetten oder fonftige Blumen aus transparentem wie opakem
Glafe an, die meift in ziemlich naturaliftifcher Bildung gehalten find, obwohl
gerade fie dem Material wenig angemeffen ift. Es ift das auch eine Decorations-
weife, die vor Zeiten fchon der Decadenz des Muranefer Kunftglafes angehörte.
Mit diefen Bemerkungen ift die Hauptmaffe des venetianifchen Glafes,
wie es auf unferer Weltausflellung erfchienen, bereits gefchildert. Gefäfs und
Geräth, faft alles mit dem Anfpruch, Kunftarbeit zu fein, bildeten den Haupt-
beftandtheil. Die Namen der Ausfteller waren nicht zahlreich; da fie aber alle
von derfelben Stätte der Induftrie gekommen und diefe Induftrie fehr einheitlich
ind eigenartig in ihrem Charakter ift, fo hätten der Namen mehrere = und die
Infel Murano hätte noch manchen anderen fenden können — wohl die Menge
vermehren, uns aber nicht neue Seiten diefer Induftrie erfchliefsen können. Das
Etabliffement von Salviati allein umfafste fo ziemlich alle Zweige; nennen wir
noch Lorenzo Radi, Antonio F uga, Giovanni Fuga, die Gebrüder Tofo mit
ihren Luftern, fo ift auch alles umfafst, was die venetianifche Glasausftellung
Lehrreiches darbot. Leider war ihr nur ein äufserft befchränkter Platz zur Ent-
faltung angewiefen, der zu äufßserfter Gedrängtheit zwang und durch die Ueber-
fülle den Eindruck des Einzelnen fchädigte. r En
Den vorwiegendften Theil der Salviati-Ausftellung bildeten die Gefäfse,
fowohl Trinkgefäfse, wie Teller, Frucht- und Blumenfchalen, Vafen, Leuch-
ter u.f. w. Wie fie den Reichthum der Formen zeigten, ebenfo den Reichthum
der farbigen oder fonft der technifchen Decoration, wie Gefäfse oder Reihen von
Gefäfsen, Garnituren, die durch ihre Einfachheit fich dem unmittelbaren Ge-
brauche empfahlen, ebenfo folche, die an Kühnheit, an Ueberkünftlichkeit, wenn
man will, nichts zu wünfchen übrig liefsen. Die Gefchicklichkeit hat in diefer
Beziehung trotz der kurzen Zeit wieder den höchften Grad erreicht. a
deutfche Weingläfer, z. B. die berühmten Römer, waren in dem milden Ton der